Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Anhörung des Betriebsrats zum Kündigungsgrund "systematische Unterschlagungen"
Leitsatz (amtlich)
Hört der Arbeitgeber den Betriebsrat zu dem Kündigungsgrund "systematische Unterschlagungen" an und lag in einem von zwei dem Betriebsrat dargelegten Fällen ein Irrtum vor, der bei der Betriebsratsanhörung auch objektiv erkennbar war, ist der Betriebsrat zu dem Kündigungsgrund einer einzelnen Unterschlagung nicht ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört. Es besteht insoweit ein betriebsverfassungsrechtliches Verwertungsverbot - es sei denn der Anhörung ist zu entnehmen, dass der Arbeitgeber hilfsweise auch zu diesem Kündigungsgrund anhört.
Normenkette
BGB § 626; KSchG §§ 1-2; BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 27.06.2016; Aktenzeichen 9 Ca 8/16) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 27. Juni 2016 - 9 Ca 8/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten auch zweitinstanzlich um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Änderungskündigung sowie um den Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung als Kellner.
Der 1971 geborene, verheiratete und drei Kindern unterhaltspflichtige Kläger ist seit dem 1. Oktober 1997 bei der Beklagten als Kellner zuletzt mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 2172 € beschäftigt. Wegen des Inhalts seines Arbeitsvertrags wird auf Bl. 8 ff. der Akte Bezug genommen.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Systemgastronomie, das unter anderem Bistros am A Flughafen betreibt. In dem Betrieb der Beklagten, dem der Kläger zuzuordnen ist, besteht ein Betriebsrat.
Am 8. Dezember 2015 setzte die Beklagte am Arbeitsplatz des Klägers in der von ihr betriebenen "B" im Terminal 2 am A Flughafen - wie im Dezember 2015 auch in anderen von ihr betriebenen Bistros, was der Kammer aus verschiedenen Parallelverfahren bekannt ist-Testkäufer ein, um zu überprüfen, ob die Käufe von den Mitarbeitern ordnungsgemäß boniert und kassiert werden. Der genaue Ablauf der Testkäufe in der "B" ist zwischen den Parteien streitig.
Der Kläger wurde an diesem Tag in seiner Arbeitspause von der im Übrigen in einem anderen Bistro der Beklagten beschäftigten Frau C vertreten. Diese hatte vergessen, sich im Kassensystem abzumelden, nachdem ihre Pausenvertretung beendet war. Als der Kläger nach Beendigung seiner Pause den ersten Kassiervorgang durchführte, fiel Frau C ihr Versäumnis auf und sie machte den Kläger hierauf aufmerksam und meldete sich sodann von der Kasse ab. Der genaue diesbezügliche Ablauf ist zwischen den Parteien streitig.
Die Systemuhr, die die Zeitangaben im Kassenjournal verursacht, war am 8. Dezember 2015 unzutreffend eingestellt. Sie ging dergestalt nach, dass die im Kassenjournal angezeigte Uhrzeit ca. 15 Minuten vor der tatsächlichen Uhrzeit lag.
Am 8. Dezember 2015 gegen 17:00 Uhr führte der Kläger ein Gespräch mit einigen Personen der Geschäftsleitung der Beklagten, bei dem auch der Betriebsratsvorsitzende anwesend war und in dessen Rahmen dem Kläger vorgeworfen wurde, dass er während seiner Schicht einen Zehneuroschein eines Käufers eingesteckt habe, anstatt ihn in die Kasse zu legen. Nach seiner Schilderung des Sachverhalts wurde Frau C per Lautsprecher zu dem Gespräch hinzugerufen, die erklärte, sie könne nicht bestätigen, dass der Kläger 10 € eingesteckt habe.
Der letzte auf Frau C am 8. Dezember 2015 im Kassenjournal gebuchte Kassenvorgang weist die Uhrzeit 14:47 Uhr aus - fand tatsächlich also um etwa 15:02 Uhr statt- und bezieht sich auf einen Cappuccino und ein Panini mit Schinken zu einem Preis von 10 €. Ebenfalls um 14:47 Uhr weist das Kassenjournal einen auf den Kläger gebuchten Vorgang aus, nämlich den Kauf einer Flasche/Dose San Pellegrino zum Preis von 3,50 €. Nach einem weiteren Eintrag im Kassenjournal über Kaffee und Kuchen für 7 € weist dieses sodann um 15:01 Uhrtatsächlich also um etwa 15:16 Uhrerneut den Kauf einer Flasche/Dose San Pellegrino für 3,50 € aus. Wegen der Einzelheiten des Kassenjournals betreffend den genannten Zeitraum wird auf Bl. 228 der Akte Bezug genommen.
Mit Anhörungsschreiben vom 17. Dezember 2015 (Bl. 92 ff. der Akte) hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer geplanten fristlosen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Änderungskündigung des Klägers an.
Die Anhörung lautete auszugsweise:
"(...) Im Rahmen einer Prüfung von so genannten "mystery guests" wurde dabei festgestellt, dass er Herr D wiederholt gegen die Kassenvorschriften verstoßen hat und Produkte an Kunden verkauft hat, ohne diese ordnungsgemäß zu bonieren. Die entsprechenden Verkäufe sind auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt durch Herr D nachgebucht worden. (...) Bevor die Testkäufer die Filiale verließen, kaufte noch einer der Testkäufer einen Artikel aus der Kühltheke zu kaufen (eine Flasche San Pellegrino aran. 0,33 l, Ka...