Entscheidungsstichwort (Thema)
Billiges Ermessen bei Dienstbefreiung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung über die Gewährung von Dienstbefreiung nach § 16 Abs. 1 UrlV HE steht nicht im freien Belieben des Arbeitgebers, sondern muß billigem Ermessen gem. § 315 BGB entsprechen. Erforderlich ist dabei eine Abwägung aller Umstände im Einzelfall. Die Ablehnung eines Antrages allein wegen Erreichens einer Regel-Obergrenze, bis zu der unter pauschaler Anrechnung von Bildungsurlaub nach dem BiUrlG HE 1984 Dienstbefreiung im Jahr gewährt wird, ist ermessenswidrig.
2. Zum Anwendungsbereich von § 106 Abs. 4 BGHE.
Normenkette
Hess UrlVO § 16; BGB § 315; HBG §§ 215, 106
Verfahrensgang
ArbG Fulda (Urteil vom 06.07.1987; Aktenzeichen 1 Ca 682/86) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 6. Juli 1987 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Fulda – 1 Ca 682/86 – abgeändert.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet war, dem Kläger am 24. Juni 1986 Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Bezüge und ohne Anrechnung auf den Erholungsurlaub zu gewähren.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung bezahlter Dienstbefreiung.
Der Kläger ist bei dem beklagten Landkreis als sog. Gesundheitsaufseher angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit und kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) und der diesen ändernden und ergänzenden Tarifverträge Anwendung. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Er ist Vertrauensmann der Gewerkschaft ÖTV in seiner Dienststelle.
1986 nahm der Kläger in der Zeit vom 16. März bis 21. März an einer Bildungsveranstaltung i. S. des Hessischen Bildungsurlaubsgesetzes teil. Am 25. April und 29. April 1986 sowie am 12. August 1986 war er dienstlich abwesend. Am 9. und 10. Oktober 1986 erhielt er Arbeitsbefreiung gem. § 52 BAT zur Betreuung seines Kindes, da seine Ehefrau erkrankt war. Sein gesamter Urlaubsanspruch für 1986 betrug einschließlich eines Resturlaubes aus dem Jahre 1985 40, 5 Arbeitstage (vgl. im einzelnen Arbeits-, Urlaubs- und Krankenkarte 1986, Anlage” Abwesenheit vom Dienst 1986” zur Personalakte des Klägers).
Am 24. Juni 1986 führte die Gewerkschaft ÖTV, Kreisverwaltung Fulda eine Tagung durch mit dem Thema „Hessisches Personalvertretungsgesetz ab 1.10.1984 – Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 30.4.1986 –. Hierzu lud sie u. a. die im Bezirk tätigen Vertrauensleute, also auch den Kläger ein (vgl. Schreiben vom 23. Mai 1986, Bl. 56 d.A.).
Am 9. Juni 1986 beantragte der Kläger bezahlte Arbeitsbefreiung zur Teilnahme an dieser Veranstaltung. Der Beklagte lehnte dies unter dem 20. Juni 1986 ab. Er gewährte dem Kläger aber für den 24. Juni 1986 einen Tag Erholungsurlaub, den der Kläger vorsorglich beantragt hatte. Nach weiterem Schriftwechsel lehnte der Beklagte unter dem 8. September 1986 es endgültig ab, dem Kläger für den 24. Juni 1986 Arbeitsbefreiung ohne Anrechnung auf den Erholungsurlaub zu gewähren.
Mit seiner am 16. Dezember 1986 erhobenen Klage verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter. Er hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf bezahlte Freistellung für den 24. Juni 1986 ergebe sich schon aus § 106 Abs. 4 Hess. Beamtengesetz (HBG). Dieses sei auch für Angestellte anwendbar und hier deshalb einschlägig, weil es sich bei der Teilnahme an der Veranstaltung um eine privilegierte gewerkschaftliche Tätigkeit gehandelt habe. Dienstliche Gründe hätten der Freistellung nicht entgegengestanden. Ein Freistellungsanspruch ergebe sich aber auch aus § 16 Urlaubsverordnung für die Beamten im Lande. Hessen (HessUrlVO). Die Bezugnahme des Beklagten auf die im März 1986 erfolgte Teilnahme an einem Bildungsurlaub sei ermessenswidrig. Diese Teilnahme habe nicht zu einem Verbrauch einer nach der HessUrlVO möglichen Dienstbefreiung geführt.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet war, dem Kläger am 24. Juni 1986 Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Bezüge zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, die Ablehnung des Antrages halte sich im Rahmen des ihm nach § 16 HessUrlVO obliegenden Ermessens. Es entspreche einer Übung, bezahlte Dienstbefreiung in der Regel nicht über 5 bis 6 Tage bzw. 1 Arbeitswoche hinaus im Jahr zu gewähren. Weitergehende Freistellungen würden nur bei gewichtigen Gründen vorgenommen. Diese Regelfreistellung habe der Kläger durch seine Teilnahme am Bildungsurlaub im März des Jahres verbraucht. Die Anrechnung sei möglich, da das Hessische Bildungsurlaubsgesetz gerade nicht zu einer Verdoppelung bezahlter Freizeit habe führen sollen. Die Voraussetzungen des § 106 Abs. 4 HBG seien nicht gegeben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Entscheidung des Beklagten als sich im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens...