Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweispflicht hinsichtlich Tarifvertrags. tarifliche Ausschlussfrist. Vergütungsabrechnung
Orientierungssatz
1. Eine Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags, die dazu führt, dass erstmals auf ein Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag Anwendung findet, ist eine Änderung wesentlicher Vertragsbedingungen i. S. v. § 3 S. 1 NachwG.
2. Bei der Frage der adäquaten Verursachung kommt dem Arbeitnehmer die Vermutung eines aufklärungsgemäßen Verhaltens zugute. Danach ist grundsätzlich davon auszugehen, dass jedermann bei ausreichender Information seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise wahrt. Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG ist zu vermuten, dass der Arbeitnehmer die tariflichen Ausschlussfristen beachtet hätte, wenn er auf die Geltung des Tarifvertrages hingewiesen worden wäre.
3. Eine einzelvertraglich vereinbarte zweite Stufe einer Ausschlussklausel, welche die gerichtliche Geltendmachung innerhalb einer Frist von weniger als drei Monaten verlangt, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Vermutung aufklärungsgemäßen Verhaltens ist nicht dadurch widerlegt, dass der Wortlaut der arbeitsvertraglichen Ausschlussklausel gleichlautend ist mit der in einem später für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag. Aus „nicht rechtzeitiger” Geltendmachung des Anspruchs kann nicht geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer auch bei Kenntnis der Anwendbarkeit des Tarifvertrags die zweite Stufe der Ausschlussfrist nicht eingehalten hätte.
4. § 108 GewO betrifft nur die Abrechnung der bereits erfolgten Zahlung (vgl. BAG 12. Juli 2006 – 5 AZR 646/05; 10. Januar 2007 – 5 AZR 665/06).
Normenkette
NachwG § 2 Abs. 1; BGB § 307 Abs. 1 S. 1; GewO § 108 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 17.06.2009; Aktenzeichen 14 Ca 986/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 17. Juni 2009 – 14 Ca 986/09 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 9.245,00 Euro brutto abzüglich 3.785,00 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Dezember 2008 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 9 vom Hundert, die Beklagte zu 91 vom Hundert zu tragen, die Kosten des Berufungsverfahrens der Kläger zu 13 vom Hundert, die Beklagte zu 87 vom Hundert.
Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten über Annahmeverzugsansprüche und die Erteilung von Lohnabrechnungen.
Wegen des unstreitigen Sachverhalts sowie der widerstreitenden Rechtsansichten der Parteien erster Instanz und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 40 – 43 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat der Klage durch Urteil vom 17. Juni 2009 nur teilweise, insoweit rechtskräftig, stattgegeben und die Klage im Übrigen, nämlich für den Zeitraum von Juni 2008 bis einschließlich September 2008 abgewiesen. Zur Begründung der Klageabweisung hat es – kurz zusammengefasst – ausgeführt, die Ansprüche des Klägers für den Zeitraum von Juni 2008 bis September 2008 seien verfallen, weil der Kläger die Ausschlussfrist gemäß § 22 des seit dem 1. April 2004 allgemein verbindlichen Rahmentarifvertrags für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 4. Oktober 2003 (nachfolgend: Rahmentarifvertrag) nicht gewahrt habe. Zwar habe der Kläger durch Erhebung der Kündigungsschutzklage im Vorrechtsstreit die Ansprüche für Juni bis September 2003 rechtzeitig schriftlich geltend gemacht und damit die erste Stufe der Ausschlussfrist gewahrt. Es fehle aber an einer rechtzeitigen klageweisen Geltendmachung der Ansprüche gemäß der zweiten Stufe der Ausschlussfrist. Der Beklagten sei es nicht gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf die tarifvertragliche Ausschlussfrist zu berufen. Der Kläger habe keine konkreten Verhaltensweisen oder Erklärungen der Beklagten vorgetragen, aus denen sich ergäbe, dass die Beklagte die Begleichung der Ansprüche als sicher in Aussicht gestellt und damit bei dem Kläger den Eindruck erweckt hätte, er müsse diese Ansprüche nicht mehr geltend machen. Ein Verstoß gegen die sich aus § 2 Abs. 1 NachwG ergebende Nachweispflicht schließe weder die Anwendbarkeit der tariflichen Ausschlussfrist aus, noch könne er den Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens begründen. Ansprüche auf Schadensersatz für die verfallenen Annahmeverzugsansprüche wegen eines Verstoßes gegen die Nachweispflicht aus § 2 Abs. 1 NachwG kämen schon deshalb nicht in Betracht, weil eine dahingehende Vermutungswirkung, der Kläger hätte bei Hinweis auf die Regelungen des Rahmentarifvertrages die Ausschlussfristen gewahrt, wegen Ziffer 15 des Arbeitsvertrags nicht gegeben sei. Aufgrund der mit § 22 des Rahmentarifvertrages wortgleichen und daher deklaratorischen Regelung sei dem Kläger der Lauf der Ausschlussfrist...