Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlung der Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges im ungekündigten Arbeitsverhältnis. Angebot der Arbeitskraft eines nicht gegen das Corona-Virus geimpften Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
Ein Arbeitnehmer ist dann nicht leistungswillig im Sinne von § 297 BGB, wenn er der wirksamen Anordnung des Arbeitgebers nicht nachgekommen ist, vor der Tätigkeitsaufnahme einen Impf- oder Genesungsnachweis im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 IfSG bezüglich SARS-Cov-2 vorzulegen. Um einen Fall der Leistungsunfähigkeit handelt es sich nicht, da der Arbeitnehmer es selbst in der Hand hatte, den Hinderungsgrund zu beseitigen. Er hätte sich impfen lassen können und wäre dann ohne Weiteres in der Lage gewesen, den Nachweis vorzulegen.
Normenkette
BGB § 615; lfSG § 20a Abs. 1; BGB § 293 ff.; IfSG § 20a Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Entscheidung vom 12.07.2022; Aktenzeichen 3 Ca 124/22) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 12.07.2022 - 3 Ca 124/22 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung der Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges im ungekündigten Arbeitsverhältnis.
Die Beklagte betreibt bundesweit Pflegeeinrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer und pflegebedürftiger Menschen. Der Kläger ist in dem Seniorenheim in A auf der Grundlage des am 28.03.2007 geschlossenen Arbeitsvertrages seit dem 01.04.2007 als Pflegefachkraft mit einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt € 3.500,00 beschäftigt. Wegen der Einzelheiten der Arbeitsbedingungen wird auf die Kopie des Arbeitsvertrages (Bl. 8 ff. d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger ist nicht gegen SARS-Cov-2 geimpft. Er hat der Beklagten weder einen Impf- noch einen Genesungsnachweis vorgelegt und bei ihm liegt auch keine medizinische Kontraindikation vor, die einer Impfung entgegensteht. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2021 wies die Beklagte den Kläger auf eine "einrichtungsbezogene Impfpflicht" und die Folgen bei nicht rechtzeitiger Vorlage eines entsprechenden Nachweises hin. Wegen des Inhalts des Schreibens im Einzelnen wird auf Bl. 16 d. A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 15. März 2022 stellte die Beklagte den Kläger ab dem 16. März 2022 unter Hinweis auf den fehlenden Impfnachweis gemäß § 20 a Abs. 1 IfSG bis auf Weiteres widerruflich, längstens bis zum 31. Dezember 2022 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung ohne Entgeltfortzahlung frei. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl. 18 d. A. verwiesen. Der Kläger forderte die Beklagte mehrmals erfolglos auf, von der Freistellung Abstand zu nehmen und bot ihr seine Arbeitskraft an. Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug sowie den dort gestellten Anträgen wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 78, 79 d. A.) verwiesen.
Durch das am 12. Juli 2022 verkündete Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freistellung vom 16. März bis 11. Mai 2022, der Verpflichtung zur Zahlung der monatlichen Vergütung ab dem 12. Mai 2022 in Höhe von € 3.500,00 brutto sowie auf Feststellung, dass die Freistellung wegen fehlenden Nachweises im Sinne des § 20 a IfSG lediglich unter Fortzahlung der arbeitsvertraglichen Vergütung erfolgen kann, abgewiesen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 79 R. - 83 d. A.) Bezug genommen. Gegen das am 29. Juli 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. August 2022 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 28. Oktober 2022 auf rechtzeitigen Antrag hin - mit dem beim Hessischen Landesarbeitsgericht am 23. Oktober 2022 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Kläger verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens im Berufungsverfahren nur noch sein nunmehr beziffertes Zahlungsbegehren für die Zeit vom 12. Mai bis 31. Dezember 2022 weiter. Er meint, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befunden habe, da sie die ordnungsgemäß angebotene Arbeitskraft nicht angenommen habe. Aus § 20 IfSG resultiere kein gesetzliches Tätigkeitsverbot für Bestandspersonal, sodass er - der Kläger - auch im Stande gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Auch sei er leistungswillig im Sinne des § 297 BGB gewesen. Der Gesetzgeber habe in § 20 a IfSG für Bestandskräfte bewusst kein unmittelbares Beschäftigungs- oder Tätigkeitsverbot vorgesehen, sondern eine diesbezügliche Anordnung des Gesundheitsamtes verlangt. Die eigenmächtige Intervention des Arbeitgebers widerspreche dieser Konzeption. Das überwiegende Interesse an einer Freistellung könne auch nicht mit dem Schutz der übrigen Mitarbeiter und betreuten Personen begründet werden, da diese bereits durch die Testpf...