Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund Behinderung. Zur Darlegungs- und Beweislast bei einer Entschädigungsklage eines schwerbehinderten Menschen wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot (hier erfolgte entgegen § 82 S 2 SGB 9 keine Einladung zum Vorstellungsgespräch). keine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Unterrichtungspflicht. Widerlegung. Zur Angemessenheit einer Entschädigungssumme nach § 15 Abs 2 AGG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Unterrichtungspflicht des § 81 Abs 1 S 9 SGB 9 bezieht sich nur auf den Tatbestand des § 81 Abs 1 S 7 SGB 9 und betrifft damit nur Fälle, in denen der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht erfüllt und die Schwerbehindertenvertretung oder eine in § 95 SGB 9 genannte Vertretung mit der beabsichtigten Entscheidung nicht einverstanden ist.

2. Zur Widerlegung der Benachteiligungsvermutung kann sich der Arbeitgeber auf alle geeigneten objektiven Tatsachen berufen. Daran ist er nicht durch eine fehlende Unterrichtung nach § 81 Abs 1 S 9 SGB 9 gehindert. Allerdings kann sich ein öffentlicher Arbeitgeber nur auf solche Auswahlgründe stützen, die dokumentiert sind. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens ist zwar die Ergänzung, nicht aber die Nachholung der Dokumentation zulässig.

 

Leitsatz (redaktionell)

Muss ein Arbeitnehmer aufgrund einer Kündigung mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes rechnen, spricht die Zahl von 120 Bewerbungen innerhalb von zwei Jahren nicht gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbung.

 

Normenkette

AGG § 15 Abs. 2, § 6 Abs. 1 S. 2; SGB IX § 82 S. 2; AGG § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 S. 1, § 22; SGB IX § 81 Abs. 1 Sätze 8-9, § 82 S. 3; GG Art. 33 Abs. 2; SGB IX § 81 Abs. 1 S. 7, §§ 95, 81 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Urteil vom 21.08.2008; Aktenzeichen 12 Ca 215/08)

 

Tenor

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 21. August 2008 – 12 Ca 215/08 – werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte an den Kläger eine Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund Behinderung zu zahlen hat.

Die Beklagte ist eine Gebietskörperschaft. Bei ihr waren im Jahr 2007 12,07% der Arbeitsplätze mit behinderten Menschen besetzt. Eine Schwerbehindertenvertretung besteht bei der Beklagten nicht. Am 12. Januar 2008 schrieb sie eine auf zwei Jahre befristete Stelle für eine/n Verwaltungsfachangestellte/n für den Geschäftsbereich Einwohnerservice aus (Bl. 6 d. A.). Die monatliche Vergütung für diese Stelle sollte 1.984,68 Euro betragen.

Als Einstellungsvoraussetzungen sind u. a. genannt:

  • Abgeschlossene Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte/r oder vergleichbare Verwaltungsausbildung
  • Gute EDV-Kenntnisse (MS-Office)

Weiter wird in der Stellenausschreibung darauf hingewiesen, dass Erfahrungen im Bereich Einwohnerwesen von Vorteil wären. Am 10. Januar 2007 hatte die Beklagte die Stellenausschreibung bereits der Agentur für Arbeit gemeldet und sie um Aufnahme der Stellenausschreibung in die Stellenangebote gebeten.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2008, wegen dessen Wortlaut auf Bl. 8 d. A. verwiesen wird, bewarb sich der am 25. März 1962 geborene, verheiratete und mit einem Grad der Behinderung von 60 schwerbehinderte Kläger auf diese Stellenanzeige und wies auf seine Schwerbehinderung hin. Vor der Bewerbung hatte der Kläger, der ausgebildeter Krankenpfleger ist und aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr als Krankenpfleger einsetzbar war, eine vom Rentenversicherungsträger geförderte Umschulung zum Verwaltungsfachangestellten absolviert und am 28. September 2006 erfolgreich abgeschlossen. Nach seiner Umschulung bewarb sich der Kläger auf ca. 120 Stellen im Rhein-Main-Gebiet, darunter auch auf Teilzeitstellen mit einem deutlich niedrigeren Gehalt und einer Entfernung von bis zu 50 km zu seinem Wohnort. Nachdem das Integrationsamt einem Antrag des früheren Arbeitgebers auf Zustimmung zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung im Jahr 2006 nicht entsprochen hatte, weil der Kläger ordentlich unkündbar war, erteilte das Integrationsamt am 25. Oktober 2007 die Zustimmung zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Am 25. Februar 2008 schloss der Kläger mit seinem früheren Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 2009 und im Fall der vorzeitigen Beendigung eine Abfindung in Höhe des eingesparten Gehalts vorsah. Zum 1. Mai 2008 trat der Kläger eine neue Stelle an und stellte seine Bewerbungstätigkeit ein.

Die Beklagte lud den Kläger nicht zu einem Bewerbungsgespräch ein. Mit Schreiben vom 12. März 2008 lehnte die Beklagte die Bewerbung des Klägers ohne nähere Begründung mit dem Hinweis ab, die Entscheidung sei auf eine andere Bewerberin gefallen. Dabei handelte es sich um eine Bewerberin, die über Erfahrungen im Bereich des Einwohnerwesens verfügte. ...

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