Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitgeber darf eine außerordentliche Kündigung eines Schwerbehinderten erst aussprechen, wenn ihm die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle ersetzende Entscheidung des Widerspruchsausschusses förmlich zugestellt worden ist (§ 73 Abs. 3 VwGo). Weder die telefonische Bekanntgabe der Entscheidung noch die Übersendung eines Protokolls der Verhandlung und ihres Ergebnisses erfüllen diese Voraussetzungen (Abweichung von LAG Schleswig-Holstein vom 22. Februar 1985, DB 85, 1648)
Normenkette
BGB §§ 626, 15; SchwbG § 21 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Urteil vom 11.07.1990; Aktenzeichen 5 Ca 14/90) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 11. Juli 1990 – 5 Ca 14/90 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der am 25.2.1952 geborene Kläger war seit dem 1.10.1978 als Systemanalytiker bei der Beklagten beschäftigt, Sein letztes Bruttomonatsgehalt betrug DM 7.200,–. Der Kläger ist anerkannter Schwerbehinderter.
Zwischen den Parteien schwebten bereits zahlreiche Arbeitsgerichtsverfahren, in denen es u.a. um verschiedene Kündigungen und die Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs des Klägers ging. Am 22.5.1989 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, die sie im Wege eines gerichtlichen Vergleichs wieder zurücknahm und aus der Personalakte des Klägers entfernte.
Mit Schreiben vom 23.6.1989 beantragte die Beklagte die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers bei der Hauptfürsorgestelle. Mit Schreiben vom 28.7.1989 beantragte die Beklagte die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Nachdem die Hauptfürsorgestelle in beiden Fällen die Zustimmung versagt und die Beklagte jeweils Widerspruch eingelegt hatte, gab der Widerspruchsausschuß diesen Widersprüchen jeweils statt, nachdem er am 19.12.1989 darüber verhandelt und die Parteien angehört hatte. Von der Erteilung der Zustimmung zu einer ordentlichen und einer außerordentlichen Kündigung erfuhr die Beklagte telefonisch unmittelbar nach dem 19.12.1989. Mit Schreiben vom 22. Dezember 1989, das dem Kläger am 4.1.1990 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Am 30.1.1990 kündigte die Beklagte aus den selben Gründen nochmals fristlos, nachdem ihr das Protokoll der Sitzung des Widerspruchsausschusses vom 19.12.1989 zugegangen war.
Mit Schreiben vom 31.1.1990 sprach die Beklagte eine ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin aus.
Am 5.2.1990 wurde der Beklagten der Widerspruchsbescheid nebst Begründung zugestellt. Am selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nochmals ordentlich und außerordentlich jeweils in getrennten Schreiben.
Gegen alle ausgesprochenen Kündigungen hat der Kläger Klage erhoben, im vorliegenden Fall gegen die fristlose Kündigung vom 04.01.1990.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil bei ihrem Ausspruch der Zustimmungsbescheid der Widerspruchsstelle noch nicht förmlich zugestellt gewesen sei. Außerdem hat er gemeint, die Beklagte habe keinen wichtigen Grund zur Kündigung gehabt. Er hat weiterhin seine Weiterbeschäftigung und restliches Januargehalt in Höhe von DM 6.240,– brutto beantragt.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 04. Januar 1990 nicht, auch nicht fristgemäß, aufgelöst worden sei,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum Abschluß des Rechtsstreits über den Weiterbestand des Arbeitsverhältnisses weiterzubeschäftigen,
- die Beklagte zur Zahlung von DM 6.240,– brutto nebst 4 % Zinsen seit 01. Februar 1990 zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, eine förmliche Zustellung des Widerspruchsbescheids sei für die Wirksamkeit der Kündigung nicht erforderlich, jedenfalls im Falle der außerordentlichen Kündigung.
Wegen der Gründe für die außerordentliche Kündigung hat die Beklagte auf ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 30.5.1990 in den Rechtsstreiten 5 Ca 63/90 (fristlose Kündigung vom 5.2.1990) und 5 Ca 64/90 (ordentliche Kündigung vom 5.2.1990) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag und dem Zahlungsantrag des Klägers stattgegeben und den Weiterbeschäftigungsantrag zurückgewiesen.
Das Arbeitsgericht hat die dem Kläger am 4.1.1990 zugegangene außerordentliche Kündigung für unwirksam gehalten, da sie ohne vorherige Zustimmung der Hauptfürsorgestelle ausgesprochen worden sei (§§ 15, 21 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz, 134 BGB). Die Beklagte habe erst nach der förmlichen Zustellung am 5.2.1990 kündigen dürfen. Die Zustimmung sei ein Verwaltungsakt und nach den im Verwaltungsrecht gültigen Vorschriften zu beurteilen, soweit es um ihre Wirkung, Rechtsgültigkeit und Anfechtbarkeit gehe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des ...