Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung für gesetzlichen. tariflichen Urlaub und Urlaub wegen Schwerbehinderung
Leitsatz (amtlich)
Auch im ruhenden Arbeitsverhältnis entstehen Urlaubsansprüche.
Der Grund für die Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung und damit die Unmöglichkeit der Inanspruchnahme des Urlaubs liegt auch dann nicht im Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers, wenn die dem Arbeitnehmer bewilligte Erwerbsunfähigkeitsrente kraft tariflicher Anordnung das Ruhen des Arbeitsverhältnisses bedeutet.
Für Urlaubsansprüche im wegen befristet bewilligter Erwerbsminderungsrente ruhenden Arbeitsverhältnis ist kein Verfall der Urlaubsansprüche kraft tariflicher Ausschlussfristen anzunehmen.
Normenkette
BUrlG § 7 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Fulda (Urteil vom 29.10.2009; Aktenzeichen 2 Ca 130/09) |
Nachgehend
BAG (Aktenzeichen 9 AZR 323/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda vom 29. Oktober 2009 – 3 Ca 130/09 – teilweise unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und zur Klarstellung wie folgt gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.388,25 EUR (in Worten: Zehntausenddreihundertachtundachtzig und 25/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Juni 2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 31 % und die Beklagte 69 % zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um Urlaubsabgeltungsansprüche der Klägerin für die Jahre 2006, 2007 und 2008 in Höhe von je 20 Arbeitstagen gesetzlichem und je 10 Tagen tariflichem Urlaub sowie weiteren je 5 Tagen Schwerbehindertenzusatzurlaub.
Die seit dem Jahr 2005 als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannte Klägerin war vom 1. August 1978 bis 31. März 2009 bei der Beklagten, die Beteiligte bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) ist, als Sekretärin beschäftigt. Ihr monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt EUR 3.001,13.
Die Klägerin erkrankte im November 2003 arbeitsunfähig. Auf ihren Antrag wurde ihr vom 1. Juni 2004 bis 31. März 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt, die – auf ihr weiteres Gesuch – bis zum 31. März 2009 befristet verlängert wurde. Seit dem 1. April 2009 erhält die Klägerin unbefristet Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages (Bl. 16, 17 d.A.) richtete sich das Arbeitsverhältnis der Parteien nach dem jeweils gültigen Rahmentarifvertrag für die Versorgungs- und Verkehrsunternehmen, der zwischen der Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e.V. einerseits und der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Bezirksleitung Hessen sowie der Deutschen Angestelltengewerkschaft, Landesverband Hessen, andererseits abgeschlossen wurde. Dies waren zunächst – soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung – der Rahmentarifvertrag vom 1. Juli 2002 (im Folgenden: RTV-AVE 2002), der am selben Tag in Kraft trat, und sodann der Rahmentarifvertrag vom 31. März 2006 (im Folgenden: RTV-AVE 2006), der zum 1. Mai 2006 in Kraft trat. Beide Tarifverträge enthalten in ihren Bestimmungen zum Erholungsurlaub (§ 23 bzw. § 19) – soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung wortgleich – folgende Bestimmungen:
„Erholungsurlaub
1) Die Arbeitnehmer haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub. Dieser ist zusammenhängend zu nehmen und soll in nicht mehr als zwei Teile zerfallen. Der Urlaub beträgt im Kalenderjahr 30 Arbeitstage bei einer Verteilung der Arbeitszeit auf 5 Tage in der Woche. ….
2) Der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen richtet sich nach den gesetzlichen Bestimmungen.
3) …
4) …
5) In dem Kalenderjahr, in dem das Arbeitsverhältnis beginnt, hat der Arbeitnehmer unter Anrechnung anderweitig erhaltenen Erholungsurlaubs nur Anspruch auf Urlaub, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens sechs Monate (bei Jugendlichen mindestens drei Monate) bestanden hat. Enden die sechs Monate so, daß der Arbeitnehmer seinen Urlaub in diesem Kalenderjahr nicht mehr nehmen kann, so wird der Urlaub auf das nächste Jahr übertragen.
Hat im Jahre des Dienstantritts das Arbeitsverhältnis nicht volle zwölf Monate bestanden, so erhält der Arbeitnehmer für jeden vollen Monat 1/12 des Jahresurlaubs.
Hat das Arbeitsverhältnis im Jahr des Ausscheidens nicht volle zwölf Monate bestanden, so gilt das gleiche, wenn der Arbeitnehmer vor dem 1. Juli aus dem Dienst ausscheidet. Scheidet der Arbeitnehmer durch Ablauf einer Befristung oder durch Eigenkündigung, die nicht wegen Eintritts in einen Vorruhestand oder eine Altersrente erfolgt, aus, so erhält der Arbeitnehmer für jeden vollen Monat 1/12 des Jahresurlaubs; gesetzliche Mindesturlaubsansprüche bleiben unberührt.
Im Falle der fristlosen Entlassung des Arbeitnehmers oder wenn er seinen Arbeitsplatz ohne Einhaltung der bestehenden Kündigungsfristen verläßt,...