Entscheidungsstichwort (Thema)
Längere Kündigungsfristen für länger beschäftigte Arbeiter
Leitsatz (amtlich)
1. § 12 Nr. 1.2 BRTV Bau Arbeiter stellt gegenüber § 622 Abs. 2 S. 2 BGB keine eigenständige tarifliche Regelung i. S. des § 622 Abs. 3 BGB dar, sondern nur eine Wiederholung des Gesetzeswortlautes (vgl. BAG AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung).
2. § 622 Abs. 2 S. 2 BGB – und mithin auch § 12 Nr. 1.2 BRTV Bau Arbeiter – ist mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar; als danach bei der Berechnung der für die verlängerten Kündigungsfristen maßgeblichen Beschäftigungsdauer eines Arbeiters Zeiten nicht zu berücksichtigen sind, die vor Vollendung des 35. Lebensjahres liegen, während bei einem Angestellten nach § 11 RTV Bau Angestellte und § 2 Abs. 2 S. 3 AngKSchG bereits Zeiten nach Vollendung des 25. Lebensjahres mitgerechnet werden (BVerfG Beschluß vom 16. November 1982, AP Nr. 16 zu § 622 BGB; BAG AP Nr. 21 und 22 zu § 622 BGB).
3. Nachdem der Gesetzgeber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1982 seit nunmehr fast 6 Jahren die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit bei der Berechnung der Kündigungsfristen nicht für Arbeiter und Angestellte neu und einheitlich geregelt hat, müssen die Gerichte für Arbeitssachen aufgrund des Rechtsstaatsgebotes diese Entscheidung treffen.
Sie kann aus Rechtsgründen nur in der Weise getroffen werden, daß die für Angestellte geltende Regelung auf die Arbeiter übertragen wird. Für beide Arbeitnehmergruppen ist bei der Berechnung längerer Kündigungsfristen von der Beschäftigungszeit auszugehen, die der jeweilige Arbeitnehmer nach Vollendung des 25. Lebensjahres aufzuweisen hat.
Normenkette
ZPO § 256 Abs. 1-2, §§ 522, 522a; BGB §§ 615, 622 Abs. 1-3; AngKSchG 1926 § 2; GG § Art. 3 Abs. 1, § Art. 19 Abs. 4, § Art. 20 Abs. 3, § 100; BVerfGG § 31 Abs. 2; BRTV Bau Arbeiter § 12; RTV Bau Angestellte § 11
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Urteil vom 31.10.1984; Aktenzeichen 4 Ca 180/84) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 31. Oktober 1984 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt – 4 Ca 180/84 wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlußberufung des Klägers wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 281,60 DM (i.W.: zweihunderteinundachtzig 60/100 Deutsche Mark) brutto nebst 4 v. H. Zinsen seit 1. Juli 1984 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Berufungsinstanz auf 5.748,40 DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Bauindustrie. Sie legte ihren Geschäftsbetrieb zum 30. April 1984 still.
Der in Jahre 1933 geborene Kläger war seit Juni 1961 bei der Beklagten als Maurer beschäftigt und erhielt zuletzt einen Monatslohn von 2.733,40 DM brutto.
Auf das Arbeitsverhältnis ist der für allgemeinverbindlich erklärte Bundesrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeiter des Baugewerbes von 3. Februar 1981 in der Fassung vom 20. Oktober 1983 anwendbar (Allgemeinverbindlichkeitserklärung vom 20. Dezember 1983, BAnz. Nr. 245 von 31. Dezember 1983 – BRTV Bau Arbeiter –). Er enthält in § 12 Nr. 1 unter der Überschrift „Kündigungsfristen” u. a. folgende Bestimmungen:
1.1 Allgemeine Kündigungsfrist
Das Arbeitsverhältnis kann beiderseitig unter Einhaltung einer Frist von 6 Werktagen, nach 12 monatiger Dauer von 12 Werktagen gekündigt werden …
1.2 Verlängerte Kündigungsfrist für ältere Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit.
Hat das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen 5 Jahre bestanden, so erhöht sich die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber auf einen Monat zum Monatsende,
hat es 10 Jahre bestanden, so erhöht sich die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber auf zwei Monate zum Monatsende,
hat es 20 Jahre bestanden, so erhöht sich die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber auf drei Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres.
Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 35. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt. Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit werden zusammengerechnet, wenn die Unterbrechung nicht vom Arbeitnehmer veranlaßt wurde und sie nicht länger als 6 Monate gedauert hat.
Demgegenüber bestimmt der zur gleichen Zeit gültige Rahmentarifvertrag für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin – RTV Bau Angestellte – in § 11 Nr. 1.1:
Die Kündigungsfristen richten sich nach den gesetzlichen Vorschriften.
Wegen der beabsichtigten Stillegung des Betriebes kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers an 29. Februar 1984 mit einer Frist von zwei Monaten zum 30. April 1984.
Am 2. Mai 1984 trat der Kläger bei einem anderen Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis als Maurer an. Dort erzielte er einen geringeren Verdienst als bei der Beklagten. Für die Monate Mai und Juni 1984 betrug der Lohnunterschied 281,60 DM brutto.
Mit der Klane vom 13./16. März 1984 hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß sein Ar...