Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageänderung im Berufungsverfahren. Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG. Vollzug einer unwirksamen Betriebsvereinbarung. Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung. Verwirkung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 533 ZPO ist eine Klageänderung im Berufungsverfahren nur zulässig, wenn erstens der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und zweitens die Klageänderung auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.
2. Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift nur dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Eine gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist rechtsunwirksam.
3. Vollzieht der Arbeitgeber eine rechtsunwirksame Betriebsvereinbarung, indem er den Arbeitnehmern daraus Leistungen erbringt, ist dieses rein tatsächliche Verhalten allein nicht geeignet, einzelvertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer zu begründen. Der Arbeitgeber bringt lediglich zum Ausdruck, dass er in Ausführung der getroffenen Betriebsvereinbarung handelt.
4. Die Tarifwidrigkeit einzelner Regelungen einer Betriebsvereinbarung führt nicht notwendig zu deren gesamten Unwirksamkeit. Nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB ist eine Betriebsvereinbarung nur teilunwirksam, wenn der verbleibende Teil auch ohne die unwirksame Bestimmung eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält.
5. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes und trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung.
Normenkette
ZPO §§ 259, 533; BetrVG § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Nr. 2; EFZG § 4 Abs. 1a; BUrlG § 11; BGB §§ 139-140, 151, 242, 319
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 08.01.2018; Aktenzeichen 9 Ca 2155/17) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird unter Zurückweisung ihrer Berufungen im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. Januar 2018 - 9 Ca 2155/17 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 163,03 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2015 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 802,19 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2016 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.032,39 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2017 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 600,48 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2017 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, 536 Plusstunden in das Arbeitszeitkonto des Klägers einzustellen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.730,48 brutto nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 216,31 brutto seit dem 1. Februar 2017, aus weiteren € 216,31 brutto seit dem 1. März 2017, aus weiteren € 216,31 brutto seit dem 1. April 2017, aus weiteren € 216,31 brutto seit dem 1. Mai 2017, aus weiteren € 216,31 brutto seit dem 1. Juni 2017, aus weiteren € 216,31 brutto seit dem 1. Juli 2017, aus weiteren € 216,31 brutto seit dem 1. August 2017 und aus weiteren € 216,31 brutto seit dem 1. September 2017 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 847,72 brutto nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 0,11 brutto seit dem 1. Februar 2014, aus weiteren € 16,10 brutto seit dem 1. März 2014, aus weiteren € 9,00 brutto seit dem 1. April 2014, aus weiteren € 79,55 brutto seit dem 1. Mai 2014, aus weiteren € 158,28 brutto seit dem 1. Juni 2014, aus weiteren € 91,58 brutto seit dem 1. Juli 2014, aus weiteren € 137,35 brutto seit dem 1. August 2014, aus weiteren € 74,04 brutto seit dem 1. September 2014, aus weiteren € 18,85 brutto seit dem 1. Oktober 2014, aus weiteren € 99,64 brutto seit dem 1. November 2014, aus weiteren € 121,03 brutto seit dem 1. Dezember 2014 und aus weiteren € 41,91 brutto seit dem 1. Januar 2015 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 466,67 brutto nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 59,73 brutto seit dem 1. Februar 2015, aus weiteren € 65,94 brutto seit dem 1. März 2015, aus weiteren € 81,61 brutto seit dem 1. April 2015, aus weiteren € 29,46 brutto sei...