Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines im Tarifvertrag vorgesehenen Kündigungsrechts. Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 30.12.2010, 3 Sa 894/10, das vollständig dokumentiert ist. Einhaltung der Ausschlussfrist nach § 314 Abs. 3 BGB. Abgrenzung außerordentliches und ordentliches Kündigungsrecht. Verwirkung eines Kündigungsrechts

 

Leitsatz (redaktionell)

Unbefristete Tarifverträge ohne ausdrückliche Kündigungsvereinbarung sind analog § 77 Abs. 5 BetrVG mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist kündbar.

 

Normenkette

BGB §§ 314, 133, 157, 242; BetrVG § 77 Abs. 5; TVG §§ 1, 3

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Urteil vom 12.05.2010; Aktenzeichen 4 Ca 121/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.02.2013; Aktenzeichen 4 AZR 81/11)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 12. Mai 2010 – 4 Ca 121/09 – abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.847,37 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Dezember 2008 zu zahlen.

Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin 37,50 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18,75 Euro seit dem 01. Dezember 2008 und aus weiteren 18,75 Euro seit dem 01. Januar 2009 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche der Klägerin auf Zahlung einer Jahressonderzahlung und einer monatlichen Zulage auf der Grundlage des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD).

Die Beklagte ist die Rechtsnachfolgerin der A. Sie betreibt mehrere Kliniken in B. Die A war bis zum Ende 2008 Mitglied des C.

Die am D geborene Klägerin ist seit dem 01. Oktober 1982 auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 27. Juli 1982 bei der Rechtsvorgängerin bzw. der Beklagten als Krankenschwester tätig. Nach § 2 des Arbeitsvertrags soll sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) vom 23.02.1961 in der für den Bereich der E jeweils geltenden Fassung und den diesen ergänzende oder ersetzende Tarifverträge richten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrags wird verwiesen auf Blatt 6 der Akte. Die Klägerin arbeitete zuletzt 28,88 h wöchentlich und war in die Entgeltgruppe 9d Stufe 5 TVöD eingruppiert. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft F.

Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten befasste sich der Landkreis G, der einzige Gesellschafter der Rechtsvorgängerin der Beklagten, am 16. Februar 2004 sowie am 22. März 2004 mit der Situation der Kliniken. Hinsichtlich der auszugsweise vorgelegten Sitzungsniederschriften wird verwiesen auf Blatt 132 bis 135 der Akte. Er beschloss ein Rahmensanierungskonzept zu der A, das u.a. die Finanzierung eines Neubaus in H vorsah.

Teil der geplanten Sanierung war auch ein Beitrag seitens der Belegschaft. Am 21. Juli 2004 schlossen der C, die A und die Gewerkschaft F die „Tarifliche Vereinbarung Nr. 761, Bezirklicher Tarifvertrag über einen Beitrag der Arbeitnehmer zur Sanierung der A”. Die Tarifliche Vereinbarung sah u.a. eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, einen Verzicht auf die Jahressonderzahlung 2006 sowie eine Kürzung der Jahressonderzahlung 2007 und 2008 vor. Im Gegenzug verzichtete die Beklagte auf den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen. Das Sanierungskonzept sah des Weiteren den Neubau eines Krankenhauses in I als Ersatz der Kliniken in J und K vor. Ferner heißt es in der Tariflichen Vereinbarung auszugsweise:

„§ 4 Verkürzung der Arbeitszeit ohne Entgeltausgleich

(1) Abweichend von § 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. B TVöD in der jeweils geltenden Fassung wird die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Pausen

im Jahr 2006 um wöchentlich ½ Stunde,

im Jahr 2007 um wöchentlich 1 Stunde,

im Jahr 2008 um wöchentlich 1 ½ Stunden

ohne Entgeltausgleich verkürzt. (…)

§ 5 Jahressonderzahlung, Sonderzahlung

(…)

(2) Für das Jahr 2006 werden die Jahressonderzahlung nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. A TVÜ-VKA sowie der Erhöhungsbetrag nach § 20 Abs. 3 Nr. 3 TVÜ-VKA nicht gezahlt. (…)

(3) Für die Jahre 2007 und 2008 beträgt die Jahressonderzahlung nach § 20 TVöD

in den Entgeltgruppen 1 bis 8

15,84 v.H.

in den Entgeltgruppen 9 bis 12

6,48 v.H.

(…)

des tariflich maßgebenden Entgelts. (…)

§ 7 Ausschluss von betriebsbedingten Beendigungskündigungen

(1) Die A verzichtet für die Dauer der Laufzeit dieser Tariflichen Vereinbarung auf betriebsbedingte Beendigungskündigungen. (…)

§ 12 In-Kraft-Treten, Laufzeit, Außer-Kraft-Treten

(1) Diese Tarifliche Vereinbarung tritt mit Wirkung vom 01. Juli 2004 in Kraft.

(2) Sie endet mit Ablauf des 31. Dezember 2008, ohne dass es einer Kündigung bedarf.

(3) Wenn der Krankenhausneubau I nicht in das Krankenhaus- investitionsprogramm 2007 bis 2011 des Landes B aufgenommen wird, kann diese Tarifvertragliche Vereinbarung von jeder Partei mit einer Frist von einem Monat gekündigt werden. Diese Tarifvertragliche Vereinbarung endet dann zu diesem Zeitp...

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