Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Höhe der Verfahrensgebühr bei Geltendmachung der Überprüfung eines Bescheides im Verwaltungsverfahren und gleichzeitigem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
Die Nr 3103 VV-RVG (juris: RVG-VV) gilt nicht in dem Fall, in dem die Überprüfung eines Bescheides im Verwaltungsverfahren geltend gemacht und gleichzeitig ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b SGG gestellt wird. Es fehlt an einem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren. Die Vergütung richtet sich nach der Nr 3102 VV-RVG.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 29. November 2010 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Im Verfahren vor dem Sozialgericht Gießen X. (Antragsteller) gegen die Bundesagentur für Arbeit (Antragsgegnerin) - S 14 AL 13/09 ER - beantragte der Antragsteller am 15. Januar 2009, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Vorausleistung von Berufsausbildungsbeihilfe gemäß § 72 Sozialgesetzbuch III (SGB III) ab sofort zu gewähren sowie ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und die Beschwerdegegnerin als Rechtsanwältin beizuordnen. Gleichzeitig beantragte der Antragsteller bei der Agentur für Arbeit ZP. die Gewährung von Vorausleistung von Berufsausbildungsbeihilfe. Die Antragsgegnerin erkannte den Anspruch an. Hierauf erklärte der Antragsteller das einstweilige Anordnungsverfahren am 4. Februar 2009 für erledigt. Mit Beschluss vom 18. Februar 2009 bewilligte das Sozialgericht Gießen dem Antragsteller Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung der Beschwerdegegnerin ab 15. Januar 2009.
Mit Kostenrechnung vom 2. März 2009 beantragte die Beschwerdegegnerin, die Vergütung für ihre Tätigkeit im Verfahren S 14 AL 13/09 ER auf insgesamt 321,30 € festzusetzen und legte hierbei eine Verfahrensgebühr nach der Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu § 2 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG - (VV-RVG) in Höhe von 250,00 € zugrunde. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte mit Beschluss vom 5. März 2009 die Vergütung auf insgesamt 226,10 € unter Berechnung einer Verfahrensgebühr in Höhe von 170,00 € fest auf der Grundlage der Nr. 3103 VV-RVG. Die Klage sei durch angenommenes Anerkenntnis erledigt worden. Die Festsetzung sei erfolgt im Rahmen der Mittelgebühr. Für die Bestimmung der Höhe der Verfahrensgebühr seien vorliegend die Schwierigkeit des Falles und die Art der entfalteten Tätigkeit entscheidend. Unter Anlegung der in den §§ 3 und 14 RVG benannten Maßstäbe seien bei der Festsetzung der Umfang der anwaltlichen Intensität, Schwierigkeit und Aufwand zu beachten. Im vorliegenden Rechtsstreit seien besondere Verfahrenstätigkeiten, die über die Normalität hinausgingen, nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen für den ermäßigten Verfahrensgebührenrahmen nach der Nr. 3103 VV-RVG lägen vor. Denn mit Schriftsatz vom 15. Januar 2009 sei bereits ein Antrag auf Vorausleistung gemäß § 72 SGB III bei der Beklagten gestellt worden. Ein Tätigwerden im Vorverfahren liege damit vor.
Gegen die Vergütungsfestsetzung erhob die Beschwerdegegnerin am 18. März 2009 Erinnerung, mit der sie ihren Kostenanspruch weiter verfolgte. Der Beschwerdeführer legte Anschlusserinnerung ein und beantragte, die Vergütung in Höhe von 160,65 € festzusetzen.
Mit Beschluss vom 29. November 2010 wies das Sozialgericht die Erinnerung und die Anschlusserinnerung zurück und ließ die Beschwerde zu. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im Wesentlichen aus, die Beschwerdegegnerin habe zeitgleich zu dem beim Gericht eingegangenen Antrag einen Antrag auf Vorausleistung bei der Agentur für Arbeit gestellt. Dieser parallel gestellte Antrag sei Ergebnis einer Prüfung der Sach- und Rechtslage in einem Verwaltungsverfahren. Die Beschwerdegegnerin habe damit Vorkenntnisse über den Sachverhalt gehabt. Dies reiche für die Anwendung der Nr. 3103 VV-RVG aus. Der Urkundsbeamte habe auch zu Recht die Vergütung in Höhe der Mittelgebühr von 170,00 € festgesetzt. Die Anschlusserinnerung sei daher zurückzuweisen gewesen. Zwar teile das Gericht die Auffassung des Beschwerdeführers, dass in der Regel einem einstweiligem Rechtsschutzverfahren nicht die selbe Wertigkeit zugemessen werden könne wie einem Hauptsacheverfahren und daher grundsätzlich auf eine auf 2/3 reduzierte Mittelgebühr des Betragsrahmens des Ausgangswertes einem solchen Verfahren zugrunde zu legen sei. Hier liege jedoch ein Ausnahmefall vor, der die Zuerkennung der Mittelgebühr rechtfertige. Ein Hauptsacheverfahren habe nicht stattgefunden. Der Rechtsstreit sei abschließend und vollständig im einstweiligen Anordnungsverfahren geklärt worden. Hinzu komme, dass die Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe zu den schwierigeren Materien im Sozialrecht zählten, so dass auch wegen der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit die Zuerkennung der Mittelgebühr gerechtfertigt erscheine.
Mit seiner am 10. Dezember 2010 eingelegten Beschwerde ...