Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. kranker bzw behinderter Mensch. Nichtvorliegen eines Grundpflegebedarfs. Haushaltshilfe. Hilfe zur Pflege. Vorrangigkeit. kein Leistungsausschluss für Bezieher von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch ein Kranker bzw Behinderter ohne Grundpflegebedarf ("Pflegestufe 0") hat allein zur Deckung seines nicht nur vorübergehenden Hilfebedarfs bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen, deren Kosten er nicht aufzubringen vermag, insoweit Anspruch auf Hilfe zur Pflege.

2. Leistungen der "Großen Haushaltshilfe" wie der "Kleinen Haushaltshilfe" sind gegenüber Leistungen der Hilfe zur Pflege hinsichtlich der Gewährung von Hilfe bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen an einen Kranken bzw Behinderten nachrangig.

3. Bezieher von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende sind von der Gewährung von Hilfe zur Pflege nicht ausgeschlossen (Anschluss an LSG Stuttgart vom 7.3.2006 - L 7 SO 509/06 ER-B).

 

Orientierungssatz

1. Die in § 70 SGB 12 geregelte Hilfe zur Weiterführung des Haushalts ist auf den Haushalt als Ganzes zur Vermeidung seiner Auflösung bezogen und setzt eine vorübergehende Notlage voraus.

2. Die erweiterte Hilfe zum Lebensunterhalt gem § 27 Abs 3 SGB 12 umfasst Personen, die einen geringen Unterstützungsbedarf haben, welchen sie - auch trotz ausreichendem Einkommen oder Vermögen - aufgrund ihrer persönlichen Verfassung in eigener Verantwortung nicht organisieren können. Bei atypischen Bedarfslagen ist zu prüfen, ob der Bedarf durch speziellere Anspruchsgrundlagen erfüllt werden kann; zu erbringen ist die Leistung, die den Bedarf wirksamer deckt.

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 9. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

 

Gründe

I.

Streitgegenstand ist die Gewährung der Kosten für eine Haushaltshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Höhe von monatlich 186,25 Euro ab 1. Dezember 2005 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die 1968 geborene Antragstellerin hat einen Sohn (N., geboren 1991), ist schwerbehindert nach dem Schwerbehindertenrecht mit einem Grad der Behinderung von 80 (Hessisches Amt für Versorgung und Soziales K., Bescheid vom 2. Dezember 2005: Funktionsbeeinträchtigungen: Morbus Crohn, Hirnanfallsleiden, Wirbelsäulensyndrom, Osteoporose) und benötigt Hilfe bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen im Umfang von 7 Stunden pro Woche ohne Grundpflege (Gutachten des Gesundheitsamts der Stadt K. vom 7. Oktober 1996: Einkaufen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln/Waschen der Wäsche/Kleidung). Sie bezog zusammen mit ihrem Sohn von der Antragsgegnerin vor dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), darunter Kosten der Haushilfe in Höhe von 186,22 Euro (7,00 Stunden wöchentlich à 6,14 Euro) sowie Mehrbedarf bei kostenaufwendiger Ernährung (Stufe 6) in Höhe von 26,00 Euro (Bescheid vom 25. Juni 2004).

Die Antragsgegnerin gewährte der Antragstellerin und ihrem Sohn ab dem Monat 1/2005 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zuletzt in Höhe von 1.067,41 Euro monatlich, darin Mehrbedarf wegen Ernährung in Höhe von 26,00 Euro (§ 30 Abs. 5) sowie Haushaltshilfe als sonstiger laufender Bedarf (§ 27 Abs. 3) in Höhe von 186,25 Euro (Bescheide vom 19. Januar 2005, 20. Juli 2005 sowie vom 23. August 2005 und vom 23. September 2005). Durch Gutachten des Gesundheitsamtsamts der Stadt K., Ärztin R. B., vom 19. Februar 2005, wurde eine Leistungsfähigkeit der Antragstellerin von täglich 3 bis unter 6 Stunden festgestellt. Dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bestehe nicht. Bis Ende Oktober 2005 bestehe Arbeitsunfähigkeit nach Operation, danach eingeschränkte Arbeitsfähigkeit; sie sei voraussichtlich bis zu 6 Monaten vermindert oder nicht leistungsfähig. Mit entsprechender Therapie sei die Verbesserung der Belastbarkeit in den nächsten 12 Monaten denkbar. Die Antragsgegnerin stellte darauf durch Bescheid vom 17. Oktober 2005 die laufenden Leistungen nach dem SGB XII mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2005 ein und begründete dies damit, dass die Antragstellerin nicht mehr unter den Personenkreis der Leistungsberechtigten gemäß § 19 SGB XII falle, sondern ab dem 1. Dezember 2005 einen vorrangigen Anspruch auf die Gewährung von Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II habe.

Die Antragstellerin erhob gegen die Einstellung der laufenden Leistungen nach dem SGB XII am 27. Oktober 2005 Widerspruch mit der Begründung, sie sei nach ihrer Krankheitsgeschichte auf Dauer erwerbsunfähig, und beantragte am 25. Oktober 2005 bei der Arbeitsförderungsgesellschaft K. Stadt GmbH (AFK-S) die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des Roten Kreuz Krankenhauses vom 18. Oktober 2005, wonach sie absehbar für die nächsten 2 Jahre nicht arbeitsfähig sei. Die AFK-S ging danach - im Gegensatz zur Antragsgegnerin - von dem Fehlen einer Erwerbsfä...

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