Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Anforderung an die Aufforderung zur Kostensenkung. Beginn der 6-Monats-Frist. Produkttheorie. Anwendbarkeit von § 8 WoGG 2. Angemessenheit der Wohnfläche
Leitsatz (amtlich)
Die Frist des § 29 Abs 1 S 3 SGB 12 wird mit der Aufforderung, die insbesondere die Höhe der als angemessen anzusehenden und auf Dauer zu übernehmenden Unterkunftskosten nennt, in Lauf gesetzt. Fehlende Hinweise, etwa mit welcher Intensität der Hilfeempfänger nach einer angemessenen Unterkunft suchen muss und welche Nachweise er dafür zu erbringen hat, lassen die Obliegenheit zur Kostensenkung als solche nicht entfallen (vgl LSG Darmstadt vom 5.10.2006 - L 7 AS 126/06 ER; entgegen LSG München vom 18.8.2006 - L 7 AS 141/06 - und vom 17.3.2006 - L 7 AS 20/05 -, LSG Mainz vom 19.9.2006 - L 3 ER 161/06 AS - und SG Osnabrück vom 1.11.2006 - S 22 AS 494/05).
Orientierungssatz
1. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für eine Unterkunft gem § 29 Abs 1 SGB 12 ist nicht auf den jeweiligen örtlichen Durchschnitt aller gezahlten Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Leistungsempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser Grundlage eine Mietpreisspanne zu ermitteln. Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten ist als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter zu ermitteln. Ist bzw war dem Leistungsempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret nicht verfügbar und zugänglich, sind die Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe zu übernehmen.
2. Die Unterkunftskosten sind in tatsächlicher Höhe zu übernehmen, wenn der Leistungsträger zur Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft keine Ermittlungen anstellt oder die Ermittlungen die Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten nicht zulassen, denn die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts ist Aufgabe des Leistungsträgers (§ 20 SGB 10).
3. Die Anwendung der Wohngeldtabelle nach § 8 WoGG 2 zur Bestimmung der Angemessenheit der Mietaufwendungen kommt erst dann in Betracht, wenn alle anderen Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft sind (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R).
4. Bei der Prüfung der Angemessenheit der Wohnungsgröße kann auf die landesrechtlichen Verwaltungsvorschriften zu § 5 WoBindG iVm § 27 WoFG und die dort festgelegten Wohnungsgrößen im sozialen Wohnungsbau zurückgegriffen werden.
5. Bei der sechsmonatigen Übergangsfrist gem § 29 Abs 1 S 3 SGB 12 handelt es sich um eine Regelhöchstfrist und nicht um eine Such- und Überlegungsfrist, die der Hilfeempfänger nach freiem Belieben ausschöpfen kann. Die Frist enthebt den Betroffenen daher nicht von der Obliegenheit zu umgehenden Kostensenkungsbemühungen ab Erkennbarkeit der Notwendigkeit.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 29. August 2006, durch den der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt wurde, wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus B-Stadt bewilligt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt von dem Antragsgegner die Bewilligung der Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe im Rahmen der Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Die Antragstellerin bezieht Leistungen nach dem SGB XII von dem Antragsgegner seit dem 1. Mai 2005. Nach dem von der Antragstellerin vorgelegten Mietvertrag vom 30. April 1997, befristet für die Dauer vom 1. Juli 1997 bis zum 30. Juni 2002, wohnt die Antragstellerin in dem Haus A-Straße in A-Stadt im 1. Obergeschoss. Nach dem Mietvertrag werden Betriebskosten für einen Aufzug nicht berechnet. Nach der Mietbescheinigung des Vermieters vom 2. Juni 2005 beträgt die Wohnfläche 58 m², nach Angabe der Antragstellerin 55,4 m². Die Nettomiete betrug bis Dezember 2005 435,00 EUR, ab Januar 2006 385,00 EUR. Die Antragsgegnerin berücksichtigte ab 1. Mai 2005 zunächst die tatsächlichen Unterkunftskosten.
Mit Schreiben vom 14. Juni 2005 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, die von ihr bewohnte Wohnung sei unangemessen teuer. Maximal könne eine Nettomiete in Höhe von 285,00 EUR als angemessen anerkannt werden. Die von ihr bewohnte Wohnung überschreite die angemessenen Kosten um monatlich 150,00 EUR. Der Antragsgegner forderte die Antragstellerin daher auf, sich unverzüglich um die Senkung der Unterkunftskosten zu bemühen. Dies könne zum einen durch Anmieten einer angemessenen Unterkunft erfolgen, als auch auf andere geeignete Weise, wie z.B. Untervermietung. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Senkung der Unterkunftskosten nicht sofort möglich sei, gewährte der Antragsgeg...