Entscheidungsstichwort (Thema)

Durchführung der mündlichen Verhandlung für einen prozessunfähigen Kläger trotz unterbliebener Bestellung eines besonderen Vertreters. Krankhafte Störung der Geistestätigkeit. Verfolgungswahn. Vielzahl gerichtlicher Verfahren. Offensichtliche Haltlosigkeit des Klagebegehrens. Akteneinsicht bei Gericht

 

Orientierungssatz

1. Von der Vertreterbestellung für einen prozessunfähigen Kläger kann das Gericht nach § 72 Abs. 1 SGG absehen, wenn das Rechtschutzbegehren offensichtlich haltlos ist.

2. Ein offensichtlich haltloses Begehren ist insbesondere dann zu bejahen, wenn von vorneherein völlig ausgeschlossen ist, dass ein besonderer Vertreter oder Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, sachdienliche Klageanträge mit hinreichendem Bezug zum materiellen Recht zu formulieren, um die Durchsetzung des klägerischen Anspruchs zu ermöglichen.

3. Ein gestellter Verpflichtungsantrag ist u. a. dann offensichtlich haltlos, wenn Kostenübernahme für eine Maßnahme begehrt wird, an der der Kläger überhaupt nicht teilgenommen hat.

 

Normenkette

SGG § 71 Abs. 1, § 72 Abs. 1; BGB § 104 Nr. 2, § 839; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 34 S. 3

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Der 1957 geborene Kläger bezieht seit längerem Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und führt seitdem eine Vielzahl an Gerichtsverfahren gegen den Beklagten. In den Jahren 2009 bis 2013 hat er bei dem erkennenden Senat jährlich ca. 100 neue Verfahren anhängig gemacht, im Jahre 2014 annähernd 200 neue Verfahren und in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt jeweils mehr als 200 neue Verfahren.

Mit seiner am 8. Oktober 2012 bei dem Sozialgericht Kassel erhobenen Klage hat der Kläger sinngemäß beantragt,

1. den Beklagten zu verpflichten, dem Grunde nach die Kosten für die am 6. August 2012 beantragte Maßnahme "Geprüfte/r Immobilienmanager/-in (E.)" bei dem Institut für EX. vom 14. August 2012 bis zum 5. Dezember 2012 zu übernehmen;

2. dem Grunde nach die Schadensersatzpflicht des Beklagten festzustellen;

3. Formulierungen im Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 12. September 2012 im Verfahren S 13 AS 210/12 ER zu ändern.

Das Sozialgericht hat diese Klage mit dem im Tenor genannten Urteil als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger fehle die erforderliche Prozesshandlungsfähigkeit. Der Bestellung eines besonderen Vertreters bedürfe es nicht. Die Begehren des Klägers seien offensichtlich haltlos.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger fristgerecht Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter und beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Juli 2015 aufzuheben und

1. den Beklagten zu verpflichten, dem Grunde nach die Kosten für die am 6. August 2012 beantragte Maßnahme "Geprüfte/r Immobilienmanager/-in (E.)" bei dem Institut für EX. vom 14. August 2012 bis zum 5. Dezember 2012 zu übernehmen;

2. dem Grunde nach die Schadensersatzpflicht des Beklagten festzustellen;

3. Formulierungen im Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 12. September 2012 im Verfahren S 13 AS 210/12 ER zu ändern.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er sieht sich in seiner Auffassung durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 28. Oktober 2016 darauf hingewiesen, dass das Landessozialgericht die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückweisen kann, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Hinsichtlich des zur Prozessfähigkeit des Klägers eingeholten Sachverständigengutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. C. vom 27. Juni 2013 und der nachfolgenden Korrespondenz mit dem Kläger wird insbesondere auch auf den Inhalt der Gerichtsakte L 6 AS 397/12 B ER Bezug genommen.

II.

Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten von der in § 153 Abs. 4 SGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und zur Beschleunigung des Verfahrens durch Beschluss entschieden, weil er das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Obwohl der Kläger prozessunfähig ist, bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner Bestellung eines besonderen Vertreters, weil das Rechtsschutzbegehren offensichtlich haltlos ist.

Wie sich aus § 71 Abs. 1 SGG ergibt, ist ein Beteiligter prozessunf...

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