Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozessunfähigkeit. Krankhafte Störung der Geistestätigkeit. Verfolgungswahn. Vielzahl gerichtlicher Verfahren. Bestellung eines besonderen Vertreters. Offensichtliche Haltlosigkeit des Klagebegehrens. Akteneinsicht bei Gericht
Leitsatz (redaktionell)
Ist der Kläger prozessunfähig und hat er keinen gesetzlichen Vertreter, braucht das Gericht für ihn dennoch keinen besonderen Vertreter zu bestellen, wenn sein Klagebegehren in der Sache offensichtlich haltlos ist.
Normenkette
SGG § 71 Abs. 1, § 72 Abs. 1; BGB § 104 Nr. 2, § 839; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 34 S. 3
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der 1957 geborene Kläger bezieht seit längerem Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und führt seitdem eine Vielzahl an Gerichtsverfahren gegen den Beklagten. In den Jahren 2009 bis 2013 hat er bei dem erkennenden Senat jährlich ca. 100 neue Verfahren anhängig gemacht, im Jahre 2014 annähernd 200 neue Verfahren und in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt jeweils mehr als 200 neue Verfahren.
Mit seiner am 8. Oktober 2012 bei dem Sozialgericht Kassel erhobenen Klage hat der Kläger sinngemäß beantragt,
1. den Bescheid des Beklagten vom 14. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Grunde nach die Kosten für die am 6. August 2012 beantragte Maßnahme "Praxisqualifizierung F. Anlayst" bei der E. gGmbh ab dem 8. Oktober 2012 zu übernehmen;
2. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 3. September 2012 anzuordnen;
3. die Schadensersatzpflicht des Beklagten festzustellen;
4. Formulierungen im Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 12. September 2012 im Verfahren S 13 AS 204/12 ER zu ändern.
Das Sozialgericht hat diese Klage mit dem im Tenor genannten Urteil als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger fehle die erforderliche Prozesshandlungsfähigkeit. Der Bestellung eines besonderen Vertreters bedürfe es nicht. Die Begehren des Klägers seien offensichtlich haltlos.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger fristgerecht Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter und beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Juli 2015 aufzuheben und
1. den Bescheid des Beklagten vom 14. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Grunde nach die Kosten für die am 6. August 2012 beantragte Maßnahme "Praxisqualifizierung F. Anlayst" bei der E. gGmbh ab dem 8. Oktober 2012 zu übernehmen;
2. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 3. September 2012 anzuordnen;
3. die Schadensersatzpflicht des Beklagten festzustellen;
4. Formulierungen im Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 12. September 2012 im Verfahren S 13 AS 204/12 ER zu ändern.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er sieht sich in seiner Auffassung durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 28. Oktober 2016 darauf hingewiesen, dass das Landessozialgericht die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückweisen kann, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Hinsichtlich des zur Prozessfähigkeit des Klägers eingeholten Sachverständigengutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. C. vom 27. Juni 2013 und der nachfolgenden Korrespondenz mit dem Kläger wird insbesondere auch auf den Inhalt der Gerichtsakte L 6 AS 397/12 B ER Bezug genommen.
II.
Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten von der in § 153 Abs. 4 SGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und zur Beschleunigung des Verfahrens durch Beschluss entschieden, weil er das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Obwohl der Kläger prozessunfähig ist, bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner Bestellung eines besonderen Vertreters, weil das Rechtsschutzbegehren offensichtlich haltlos ist.
Wie sich aus § 71 Abs. 1 SGG ergibt, ist ein Beteiligter prozessunfähig, soweit er sich nicht durch Verträge verpflichten kann. Dies ist unter anderem der Fall bei Personen, die nicht geschäftsfähig im Sinne des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sind, weil sie sich im Sinne von § 104 Nr. 2 BGB in einem nicht nur vorübergehen...