Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. fehlende Erwerbsfähigkeit. ausländischer Staatsangehöriger. Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs 3 S 1 AufenthG mit Beschäftigungsaufnahme untersagender Nebenbestimmung. Anspruch auf Sozialgeld. kein Leistungsausschluss wegen Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG. Abgrenzung der in § 1 Abs 1 Nr 3 und 4 AsylbLG genannten Aufenthaltstitel zur Fiktionsbescheinigung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Ausländer, dessen Aufenthalt im Inland auf der Grundlage von § 81 Abs 3 S 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) als rechtmäßig gilt, hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II, wenn in der zu seinen Gunsten ausgestellten Fiktionsbescheinigung eine Nebenbestimmung enthalten ist, die die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausdrücklich nicht gestattet. Er ist dann nicht erwerbsfähig iS von § 8 Abs 2 SGB 2, auch wenn ihm ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die eine Erwerbstätigkeit erlauben würde, zustehen sollte, solange diese noch nicht erteilt ist.
2. Lebt der Ausländer allerdings in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Partnerin, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II hat, kann ihm ein Anspruch auf Sozialgeld zustehen. Eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs 3 S 1 oder Abs 4 AufenthG (juris: AufenthG 2004) ist weder mit einer Duldung nach § 60a AufenthG (juris: AufenthG 2004) noch mit einem der in § 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG genannten Aufenthaltstitel vergleichbar. Der Leistungsausschluss in § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 2 für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG greift daher nicht.
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers zu 1. wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. Juni 2011 abgeändert und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zu 1. vorläufig Sozialgeld nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetz-buches in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 13. November 2010 bis zum 8. Februar 2011 zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller zu 1. vier Fünftel der zur Rechtsverfolgung in beiden Rechtszügen notwendigen Kosten zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander Kosten nicht zu erstatten.
IV. Dem Antragsteller zu 1. wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., A-Stadt, ab 29. Juli 2011 bewilligt. Im Übrigen wird der Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes um Ansprüche des Antragstellers zu 1. auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Der Antragsteller zu 1. ist 1984 geboren und syrischer Staatsbürger, die Antragstellerin zu 2. ist am 31. Juli 1984 geboren und deutsche Staatsbürgerin. Beide haben am 9. März 2010 vor dem Familienrichter in E. (Syrien) geheiratet. Die Antragstellerin zu 2. erhält seit April 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) von dem Antragsgegner. Der Antragsteller zu 1. reiste nach Angaben der Antragsteller am 13. August 2010 mit einem Touristenvisum in das Bundesgebiet ein. Einen Tag später kam das gemeinsame Kind beider, der Antragsteller zu 3., zur Welt.
Der Antragsgegner erbrachte, nachdem die Antragstellerin zu 2. die Geburt mitgeteilt hatte, Leistungen für August und September 2010 auch an den Antragsteller zu 3. und bewilligte mit Bescheid vom 30. August 2010 zu Gunsten der Antragstellerin zu 2. und des Antragstellers zu 3. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Oktober 2010 in Höhe von insgesamt 647,86 Euro und für die Zeit vom 1. November 2010 bis 31. März 2011 in Höhe von monatlich 776,86 Euro. Auf Blatt 135 der Leistungsakte des Antragsgegners (im Folgenden: LA) wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Durch Bescheid vom 15. September 2010 erhöhte er die bewilligten Leistungen, da der Antragsteller zu 1. den zunächst zugesagten Unterhalt nicht (mehr) zahlen konnte, auf 917,86 Euro für Oktober 2010 und 1.046,86 Euro monatlich für die Zeit vom 1. November 2010 bis 31. März 2011. Insoweit wird auf Bl. 4 des PKH-Hefts wegen der Einzelheiten verwiesen.
Der Antragsteller zu 1. suchte spätestens am 20. Oktober 2010, nach seinen Angaben in der Antragsschrift bereits am 14. September 2010, bei der Oberbürgermeisterin der Beigeladenen um Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach. Die Beigeladene als Ausländerbehörde stellte am 20. Oktober 2010 eine sogenannte Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), befrist bis 19. Januar 2011, aus.
Nach den von den übrigen Beteiligten nicht in Frage gestellten Angaben der Antragsteller sprach die Antragstellerin zu 2. am 25. Oktober 2010 bei dem Antragsgegner vor, teilte diesem den Einzug des Antragstellers zu 1. in die gemeinsame Wohnung mit und beantragte dessen Aufnahme in die Bedarfsgemeinschaft.
Durch Bescheid vom 5. November 2011 änderte der Antragsgegner daraufhin den Bewilligungsbescheid vom 30. August 2010 und reduzierte die bewil...