Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Ungeeignetheit eines Ablehnungsgesuchs. gesetzliche Rentenversicherung. Befristung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
Orientierungssatz
1. Bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des Vorliegens eines gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs gerät eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters mit der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 S 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl BVerfG vom 2.6.2005 - 2 BvR 625/01 ua = BVerfGK 5, 269 sowie vom 20.7.2007 - 1 BvR 2228/06 ). Eine völlige Ungeeignetheit eines Ablehnungsgesuchs in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Ist hingegen eine - wenn auch nur geringfügige - Befassung mit dem Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung als unzulässig aus.
2. Die Tatsache allein, dass der Kläger in der Vergangenheit andere rechtliche Standpunkte als der abgelehnte Richter vertreten hat, vermag keine Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
3. Unrichtige oder für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen oder Tatsachenwürdigungen eines Richters sind nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen, denn eine nachträgliche inhaltliche Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung kann im Wege der Richterablehnung gerade nicht erreicht werden (vgl BVerwG vom 23.10.2007 - 9 A 50/07 ua).
4. Zur Befristung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 102 Abs 2 SGB 6.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2019 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 14. Juli 2021 wird abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch in dieser Instanz keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Das Gesuch des Klägers, den Vizepräsidenten des Hessischen Landessozialgerichts XR., die Richterin am Landessozialgericht XW., den Richter am Landessozialgericht X.. sowie den Richter am
Landessozialgericht Dr. XY. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird als unzulässig verworfen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die frühere Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1984 geborene Kläger ist ausgebildeter Papiermacher und absolvierte eine von der Bundesagentur für Arbeit geförderte dreijährige Ausbildung zum Industriekaufmann. Zuletzt war er bis März 2014 als Personalsachbearbeiter beschäftigt.
Der Kläger leidet insbesondere unter psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen.
Vom 5. September bis 13. November 2012 hielt sich der Kläger stationär in der S-Klinik C-Stadt auf. Laut Entlassungsbericht vom 21. November 2012 litt der Kläger unter Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt, einer leichten depressiven Episode und einem primär insulinabhängigen Diabetes mellitus Typ I(ohne Komplikationen). Der Behandlung hätten ausgeprägte Kontaminationsängste, Wasch- und Kontrollzwänge zugrunde gelegen. Der Kläger habe regelmäßig umfangreiche Wasch- und Reinigungsrituale durchführen müssen. Mithilfe therapeutischer, medizinischer und ernährungstherapeutischer Unterstützung sei es dem Kläger im Verlauf zunehmend besser gelungen, dies für sich zu regulieren. Es bestehe ein ausgeprägtes Misstrauen gegen Autoritäten. Diese Stelle des vom Kläger vorgelegten Entlassungsberichts hat der Kläger handschriftlich mit der Anmerkung versehen „Es gibt keine Autoritäten!“. Der Entlassungsbericht führt fort, im Rahmen der Behandlung sei es gelungen, die Waschrituale abzubauen. Bezogen auf die Kontrollzwänge seien jedoch keine großartigen Veränderungen erzielt worden, da der Kläger sich nicht für nachhaltige Veränderungen in diesen Bereichen habe entscheiden können.
Auf den Antrag des Klägers vom 9. Dezember 2013 bewilligte die Beklagte mit hier streitgegenständlichem Rentenbescheid vom 9. April 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. April 2014 befristet bis zum 29. Februar 2016 mit einem Zahlbetrag von 964,25 € monatlich. Die beratende Ärztin der Beklagten Dr. D. hatte in einer Stellungnahme vom 21. März 2014 zuvor bei den Diagnosen schwergradige Zwangsstörung, mittelgradige depressive Episode, kombinierte Persönlichkeitsstörung und Diabetes mellitus Typ I ein Leistungsvermögen von lediglich unter drei Stunden täglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt. Der Einschätzung lagen u.a. Befundberichte des Arztes für Innere Medizin Dr. E. vom 3. Februar 2014 und des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. vom 20. Januar 2014 zugrunde. Das Leistungsvermögen bestehe ausweislich des nervenärztlichen Befundberichts des Dr. M. vom 20. Januar...