Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Festsetzung eines Ordnungsgeldes durch das Gericht wegen Ungebühr des Verfahrensbeteiligten

 

Orientierungssatz

1. Nach § 61 Abs 1 SGG iVm § 178 GVG kann gegen einen Verfahrensbeteiligten, der sich in einer Sitzung einer Ungebühr schuldig macht, ein Ordnungsgeld bis zu 1000.- €. festgesetzt werden.

2. Ungebühr stellt eine Missachtung des Gerichts in einer nach allgemeinem Empfinden grob unangemessenen Weise dar. Das Sitzenbleiben beim Eintritt des Gerichts wird als Ungebühr bewertet, wenn weitere Umstände hinzutreten, die darauf schließen lassen, dass dies in der Absicht erfolgt, das Gericht zu provozieren oder herabzusetzen.

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 02.02.2017; Aktenzeichen 1 BvR 2897/16)

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung ergangenen Ordnungsgeldbeschluss.

Die Beschwerdeführerin hat in dem Klageverfahren S 8 U 161/12 insbesondere eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung begehrt. Gegen das teilweise stattgebende Urteil vom 20. Januar 2015 ist von beiden Beteiligten Berufung eingelegt worden, die noch anhängig ist (L 9 U 29/15).

In dem genannten Klageverfahren ist am 4. November 2014 eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden. In der diesbezüglichen Sitzungsniederschrift ist zu dem hier relevanten Vorgang Folgendes dokumentiert:

"Es wird festgestellt, dass die Klägerin sich beim Hereinkommen des Gerichts nicht erhoben hat. Die Klägerin wird darauf hingewiesen, dass sie hierzu aufgefordert werde und für den Fall, dass sie dieser Aufforderung nicht nachkommt, ein Ordnungsgeld gegen sie verhängt wird.

Die Klägerin erklärt daraufhin, dass sie keine Verpflichtung zum Aufstehen sehe. Diese ergebe sich nur aus § 124 der Strafprozessordnung, die im vorliegenden Fall nicht anzuwenden sei.

Der Vorsitzende fragt die Klägerin, ob sie ein Tonbandgerät eingeschaltet habe. Darauf die Antwort der Klägerin: "Hierzu gibt es keine Antwort."

Die Klägerin rügt die Besetzung des Gerichts.

Sodann stellte der Vorsitzende fest, dass weitere Einlassungen von der Klägerin nicht erfolgt sind. Er weist nochmals darauf hin, dass wegen Missachtung des Gerichts gegen sie ein Ordnungsgeld verhängt werden kann.

Die mündliche Verhandlung wird unterbrochen. Die Kammer zieht sich zur Beratung zurück. Nach Wiederaufnahme der Verhandlung ergeht folgender

Beschluss

Die Besetzungsrüge der Klägerin wird zurückgewiesen. Gründe, die eine Besetzungsrüge begründen könnten, sind weder ersichtlich noch wurden sie von der Klägerin vorgetragen.

b.u.v.

Sodann ergeht folgender weiterer

Beschluss

Gegen die Klägerin wird ein Ordnungsgeld in Höhe von 300,-- Euro festgesetzt, weil sie sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig gemacht hat, indem sie bei Eintritt des Gerichts sitzen geblieben ist und sich geweigert hat, die berechtigte Frage des Vorsitzenden nach Tonbandgeräten zu beantworten.

b.u.v."

Die Sitzungsniederschrift wurde der Beschwerdeführerin mit einer Rechtsmittelbelehrung, die den Hinweis enthält, es könne Beschwerde binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses eingelegt werden, am 22. November 2014 zugestellt.

Die Beschwerdeführerin hat gegen den Beschluss am 21. Dezember 2014 Beschwerde bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten L 9 U 210/14 B und L L 9 U 29/15 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde, die frist- und formgerecht eingelegt worden ist (§§ 66 Abs. 2 S. 1, 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist zulässig.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Nach § 61 Abs. 1 SGG i.V.m. § 178 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) kann unter anderem gegen einen Verfahrensbeteiligten, der sich in einer Sitzung einer Ungebühr schuldig macht, ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro festgesetzt werden.

Die formellen Voraussetzungen für die Festsetzung des Ordnungsgeldes sind erfüllt. Nach § 61 Abs. 1 SGG i.V.m. § 178 Abs. 2 GVG entscheidet über die Festsetzung von Ordnungsgeld gegenüber Personen, die bei der Verhandlung nicht beteiligt sind, der Vorsitzende, in allen übrigen Fällen das Gericht. Diese Zuständigkeitsregelung ist bei der Verhängung des Ordnungsgeldes beachtet worden. Das Sozialgericht hat ausweislich der Sitzungsniederschrift über die Verhängung von Ordnungsgeld in Kammerbesetzung nach geheimer Beratung entschieden. Es war dabei nicht gehindert, in dieser Kammerbesetzung zu entscheiden. Die Besetzungsrüge der Beschwerdeführerin war ausweislich der Sitzungsniederschrift zuvor in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zurückgewiesen worden. Dem Beschluss ging auch eine Abmahnung bzw. ein - sogar wiederholter - Hinweis auf die mögliche Ordnungsgeldfestsetzung voraus. Die Beschwerdeführerin hatte Gelegenheit, sich zu äußern, so dass vor Verhängung des Ordnungsgeldes das erforderliche rechtliche...

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