Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Bescheidung eines vollständig eingereichten PKH-Antrags zwei Monate nach erstinstanzlichem Urteil. maßgeblicher Zeitpunkt der Prüfung der Erfolgsaussichten. Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer verhängten Sperrzeit im Falle einer Selbstkündigung. Vorliegen eines wichtigen Grundes oder einer besonderen Härte. Beiordnung eines Rechtsanwalts
Leitsatz (amtlich)
Wird ein mit der Klage vollständig eingereichter Prozesskostenhilfeantrag erst zwei Monate nach dem erstinstanzlichen Urteil beschieden, handelt es sich um einen sog steckengebliebenen Prozesskostenhilfeantrag, der ausschließlich auf pflichtwidrigen Versäumnissen des Sozialgerichts beruht.
Die umstrittene Frage nach dem richtigen Zeitpunkt der Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht spielt dann keine Rolle, wenn die hinreichende Erfolgsaussicht zu jedem maßgeblichen Zeitpunkt (Antragstellung, Entscheidungsreife des PKH-Antrages in erster Instanz, Schluss der mündlichen Verhandlung, erstinstanzliche Entscheidung, Entscheidungsreife des Beschwerdeverfahrens, Beschwerdeentscheidung) zu bejahen ist (vgl LSG Darmstadt vom 10.1.2005 - L 6 B 124/04 AL).
Hat die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit wegen Selbstkündigung der Klägerin festgestellt, ist deren Behauptungen mit Beweisangebot (Mobbing, Verdoppelung der Arbeitszeit, Fehlen von Pausen) nachzugehen zur Prüfung eines wichtigen Grundes bzw des Vorliegens einer besonderen Härte.
Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes gemäß § 121 Abs 2 ZPO erscheint nach Umfang und Schwierigkeit der Sache insbesondere auch dann geboten, wenn das Sozialgericht elementare Verfahrensvorschriften, insbesondere den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) verletzt hat.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichtes Marburg vom 21. Oktober 2005 aufgehoben.
Der Antragstellerin wird für das vor dem Sozialgericht Marburg unter dem Aktenzeichen S 8 AL 618/04 geführte Verfahren Prozesskostenhilfe ab 2. Juli 2004 unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., A-Stadt, bewilligt.
Gründe
Im zugrunde liegenden Rechtsstreit ist die Rechtmäßigkeit einer Sperrzeit gemäß § 144 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB 3) von 12 Wochen (28. November 2003 bis 19. Februar 2004) streitig.
Der am 3. November 2005 bei dem Sozialgericht Marburg eingegangenen Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (14. November 2005), gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 21. Oktober 2005 (in dem Verfahren S 8 AL 618/04) war stattzugeben, der ablehnende Beschluss war aufzuheben, PKH ab Klageerhebung zu bewilligen und Rechtsanwalt B. beizuordnen.
Bei dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichtes Marburg vom 21. Oktober 2005 handelt es sich um einen sog. steckengebliebenen Prozesskostenhilfeantrag (vgl. LAG Hamm 30.3.2001 - 4 Ta 693/00 = juris KARE600005275), da er fast zwei Monate nach dem abweisenden Urteil vom 30. August 2005 erlassen wurde. Die verspätete Entscheidung beruht ausschließlich auf pflichtwidrigen Versäumnissen des Sozialgerichts (vgl. OLG SH 12.3.2001 - 2 W 167/00 = OLGR Schleswig 2001, 340 = juris KORE435062001). Denn durch die ohne erkennbaren Grund verspätete Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag wurde die Rechtsverfolgung der Antragstellerin unverhältnismäßig erschwert und damit das aus Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 GG folgende verfassungsrechtliche Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes verletzt (vgl. BVerfG vom 13.3.1990, 2 BvR 94/88 = BVerfGE 81, 347 und vom 30.10.1991 - 1 BvR 1386/91 = NJW 1992, 889).
Nach § 114 Zivilprozessordnung (ZPO), der im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) entsprechende Anwendung findet, erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Der Senat geht - insoweit in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht - entsprechend der von der Antragstellerin abgegebenen Erklärungen (30.6.2004 und 4.11.2005) über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie den eingereichten Unterlagen davon aus, dass sie nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung für ein Verfahren erster Instanz in Höhe von durchschnittlich 464,-- € (vgl. Becker, in: SGb 2002, Heft 8, S. 428 ff., 438) aufzuwenden.
Die Rechtsverfolgung durch die Antragstellerin bot nach Auffassung des erkennenden Senates - insoweit entgegen der Ansicht des Sozialgerichts - in erster Instanz hinreichende Erfolgsaussicht jedenfalls im Sinne einer gegebenenfalls teilweisen, nicht entfernt liegenden, Erfolgsmöglichkeit. Diese hinreichende Erfolgsaussicht besteht auch jetzt noch im Beschwerde-/Berufungsverf...