Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme von Gutachtenskosten auf die Staatskasse
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung über einen Antrag auf Kostenübernahme nach § 109 Abs. 1 S. 2 SGG hat stets das Gericht zu treffen, welches das Gutachten eingeholt hat.
2. Die Frage, ob die Aufklärung des rechtserheblichen Sachverhalts durch das Gutachten objektiv gefördert worden ist, richtet sich nach dem rechtskräftigen Endurteil.
Normenkette
SGG § 109 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
SG Gießen (Beschluss vom 15.07.1975; Aktenzeichen S-3 a/U - 273/70) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluß des Sozialgerichts Gießen vom 15. Juli 1975 aufgehoben.
2. Die dem Beschwerdeführer durch das nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes eingeholte Gutachten des Dr. med. E., G., vom 10. August 1972 entstandenen Kosten werden in gesetzlichem Umfang auf die Staatskasse übernommen.
Tatbestand
I.
Die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BG) gewährte dem Beschwerdeführer (BF) wegen zwei Arbeitsunfällen in zwei Bescheiden vorläufige Renten nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um je 10 v.H. Die gegen beide Bescheide erhobenen Klagen verband das Sozialgericht (SG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Während des Klageverfahrens entzog die BG die Rente wegen einer wesentlichen Besserung in den Unfallfolgen. Das SG holte auf Antrag des BF gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten des Dr. med. E., G., ein und wies die Klage mit Urteil vom 19. Juni 1973 ab. In den Entscheidungsgründen heißt es u.a., nachdem Dr. E. lediglich bereits Bekanntes bestätigt habe, bestehe kein Anlaß dafür, den BF von den durch dieses Gutachten entstandenen Kosten zu befreien. Auf die Berufung des BF erkannte das Hessische Landessozialgericht (HLSG) mit rechtskräftigem Urteil vom 22. Mai 1974 für Recht:
„Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. Juni 1973 sowie der Bescheid vom 20. Oktober 1970 betreffend den Unfall vom 31. März 1970 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 20. Oktober 1970 betreffend den Unfall vom 9. Juni 1969 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 3. bis 30. März 1970 und vom 20. August 1970 bis 31. März 1972 Verletztenrente nach einer MdE um 20 % zu gewähren.”
In den Entscheidungsgründen wurde u.a. ausgeführt, daß die Folgen des ersten Arbeitsunfalls das zweite Unfallgeschehen wesentlich mitverursacht hätten, wie auch Dr. E. ausgeführt habe. Auch hinsichtlich des Grades der unfallbedingten MdE folgte der Senat dem Gutachten des Dr. med. E. Desweiteren heißt es in den Entscheidungsgründen u.a., nachdem das Urteil des SG in vollem Umfange aufgehoben worden sei, werde das SG über den Antrag des Klägers auf Übernahme der Gutachtenskosten auf die Staatskasse durch beschwerdefähigen Beschluß zu entscheiden haben.
Der Kläger hat daraufhin beim SG beantragt,
die Kosten für das von Dr. E. nach § 109 SGG erstattete Gutachten auf die Staatskasse zu übernehmen und hierüber durch Beschluß zu entscheiden.
Der Vorsitzende der Kammer 3 a des SG hat es in der Folgezeit wiederholt abgelehnt, eine dahingehende Entscheidung zu treffen. Schließlich erging durch ihn am 13. Juli 1975 folgender Beschluß:
„I. Der Antrag des Berufungskläger auf Übernahme der Kosten für die Anhörung von Dr. E. nach § 109 SGG in der ersten Instanz wird abgelehnt.
II. Ein Beschwerderecht ist nicht gegeben.”
In den Gründen heißt es am Ende: „Wenden Sie sich, sofern Sie wollen, beschwerdeführend an das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt, Rheinstr. 94. Hiesiges Gericht ist jedenfalls an instanzenwirksame Vorschriften gebunden.”
Dieser Beschluß wurde dem BF am 13. Juli 1975 zugestellt. Er hat sich dagegen in einem am 5. September 1975 beim HLSG eingegangenen Schreiben vom 29. August 1975 gewandt, in dem er seinen Antrag auf Übernahme der Kosten für das nach § 109 SGG erstattete Gutachten aufrecht erhält und um eine entsprechende Entscheidung bittet.
Entscheidungsgründe
II.
Das Schreiben des Klägers vom 29. August 1975, beim HLSG eingegangen am 5. September 1975, ist als Beschwerde gegen den Beschluß des Vorsitzenden der Kammer 3 a des SG vom 13. Juli 1975 anzusehen. Die Ansicht des SG, ein Beschwerderecht sei nicht gegeben, ist unzutreffend. Nach § 172 Abs. 1 SGG findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte mit Ausnahme der Vorbescheide, die Beschwerde an das LSG statt, soweit nicht im SGG anderes bestimmt ist. Einer der in Absatz 2 a.a.O. genannten Ausschließungsgründe liegt nicht vor. In Betracht käme allenfalls die Bestimmung, daß Beweisbeschlüsse nicht mit der Beschwerde angefochten werden können. Ein Beschluß nach § 109 Abs. 1 Satz 2, letzter Satzteil SGG ist jedoch kein unanfechtbarer Beweisbeschluß und auch kein Bestandteil eines solchen, sondern eine reine Kostenentscheidung, während die in § 172 Abs. 2 SGG genannten gerichtlichen Tätigkeiten durchweg prozeßleitenden und prozeßfördernden Cha...