Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsweg. Vereinbarungen über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen keine Rahmenvereinbarungen iS von § 103 Abs 5 S 2 GWB. Zuständigkeit der Sozialgerichte. einstweiliger Rechtsschutz. gerichtliche Prüfung der Preisvereinbarung. Rechtsschutzbedürfnis eines pharmazeutischen Unternehmens. Berufsausübungsfreiheit. einstweilige Anordnung. Anordnungsanspruch. Möglichkeit des Abschlusses ergänzender Verträge im Krankenversicherungsrecht. Verwirklichung des Wirtschaftlichkeitsgebots. keine Umgehung des Verbots der Auftragsvergabe an nur einen Hersteller. Herstellung der Konkurrenzfähigkeit durch Preissenkung
Orientierungssatz
1. Entgegen der Auffassung der 2. Vergabekammer des Bundes im Beschluss des BKartA vom 15.5.2018 - VK 2 - 30/18 handelt sich bei den zwischen den gesetzlichen Krankenkassen(-verbänden) und den Apothekerverbänden geschlossenen Vereinbarungen über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen nicht um Rahmenvereinbarungen iS von § 103 Abs 5 S 2 GWB. Daher sind diese Vereinbarungen nicht nach denselben Grundsätzen wie öffentliche Aufträge iS von § 103 Abs 1 GWB zu behandeln und unterliegen damit nicht dem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren.
2. Im Vordergrund der streitigen Vereinbarungen steht die Festlegung der Vergütung der Apotheken für Abgabe von vertragsärztlich verordneten quadrivalenten Grippeimpfstoffen mit Auswahlmöglichkeit für den Apotheker. Diese Regelung ist produkt- und herstellerneutral.
3. Eine Lenkungswirkung haben die streitigen Vereinbarungen nur insoweit, als sie den Zweck haben, produktneutrale Verordnungen (Wirkstoffverordnungen) zu fördern, weil nur unter der Voraussetzung einer produktneutralen Verordnung der Apotheker die Möglichkeit hat, den Impfstoff auszuwählen.
4. Es handelt sich um einen sozialrechtlichen Streit um die Auslegung normvertraglicher Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und den Apothekerverbänden nach § 129 SGB 5, für die die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist.
5. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass ein pharmazeutisches Unternehmen eines quadrivalenten Grippeimpfstoffs auf der Grundlage seiner aus Art 12 GG folgenden Berufsausübungsfreiheit ein subjektiv-öffentliches Recht hat, eine Preisvereinbarung, wie sie in den vorliegend angefochtenen Vereinbarungen getroffen worden ist, gerichtlich überprüfen zu lassen.
6. Es ist kein Grund ersichtlich, der es vorliegend den Antragsgegnern verbieten könnte, mit den streitigen Vereinbarungen einen festen Abgabepreis zu vereinbaren. Die Möglichkeit des Abschlusses ergänzender Verträge nach § 129 Abs 5 S 1 SGB 5 und nach § 129 Abs 5 S 3 SGB 5 dient der Verwirklichung des von § 12 Abs 1 SGB 5 für das gesamte krankenversicherungsrechtliche Leistungs- und Leistungserbringerrecht vorgegebenen Wirtschaftlichkeitsgebots (vgl BSG vom 25.11.2015 - B 3 KR 16/15 R = BSGE 120, 122 = SozR 4-2500 § 129 Nr 11).
7. Das Verhalten stellt keinen Verstoß gegen das vom Gesetzgeber mit der Abschaffung der Selektivverträge nach § 132e Abs 2 SGB 5 aF beabsichtigte Verbot der Vergabe an nur einen Hersteller dar. Es steht dem pharmazeutischen Unternehmen frei, sein eigenes Produkt durch entsprechende Preisgestaltung konkurrenzfähig zu machen, das heißt durch Senkung des Preises.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 19. April 2018 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 1,6 Mio. € festgesetzt.
Gründe
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Antragstellerin mit dem Antrag,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. April 2018 (S 34 KR 136/18 ER) im Wege der einstweiligen Anordnung die folgenden zwischen den Antragsgegnern geschlossenen Vereinbarungen:
- Vereinbarung zur Regelung von Einzelheiten der Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen gemäß § 11 Nr. 7 des Arzneimittelversorgungsvertrags Berlin für die Saison 2018/2019 (im Weiteren: BAV),
- Vereinbarung zur Regelung von Einzelheiten der Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen gemäß Anlage 5 des Arzneimittellieferungsvertrags für das Land Brandenburg zur Preisvereinbarung für Grippeimpfstoffen im Sprechstundenbedarf für die Saison 2018/2019 (im Weiteren: AVB),
- Vereinbarung zur Regelung von Einzelheiten der Vereinbarung über die Versorgung mit Grippeimpfstoffen gem. § 5 Abs. 4 (Anlage 1) des Arzneiliefervertrags Mecklenburg-Vorpommern für die Saison 2018/2019 (im Weiteren: AV MV)
über die Festsetzung eines Abrechnungsbetrags von 10,95 € inkl. MwSt. pro Impfdosis für quadrivalenten Grippeimpfstoff zur Anwendung bei Erwachsenen außer Kraft zu setzen,
ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Das Sozialgericht ist im Ergebnis zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegend nicht im Betracht kommt, jedoch entgegen der Auffassung des Sozialgerichts - nicht deshalb, wei...