Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Berechtigter. Unionsbürger. Leistungsausschluss für Ausländer bei Einreise zum Zweck der Arbeitsuche. selbstständige Tätigkeit. Aufenthaltsrecht. Freizügigkeitsbescheinigung aufgrund unrichtiger Angaben. Europarechtskonformität des § 7 Abs 2 S 1 SGB 2. Anspruch von Nicht-EU-Ausländern. denen aufgrund unrichtiger Angaben eine Freizügigkeitsbescheinigung der EU erteilt wurde. auf Grundsicherung für Arbeitslose

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ausländer, denen ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland nicht zusteht, sind nicht anspruchsberechtigt nach dem SGB 2. Das gilt auch dann, wenn dem Ausländer aufgrund unrichtiger Angaben eine Freizügigkeitsbescheinigung/EU erteilt wurde. Der Freizügigkeitsbescheinigung/EU kommt lediglich deklaratorische Bedeutung zu; sie entfaltet keine Tatbestandswirkung. Für den Leistungsanspruch ist es unerheblich, ob die zuständige Behörde das Nichtbestehen der Freizügigkeitsberechtigung bestandskräftig festgestellt hat.

2. Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, haben nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2. Die Bestimmung ist mit Art 12 EG vereinbar.

 

Orientierungssatz

Eine selbstständige Tätigkeit iS des § 2 Abs 2 Nr 2 und Nr 3 FreizügG/EU 2004 liegt nicht vor, wenn der Inhaber einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU nach § 2 Abs 1 iVm § 13 FreizügG/EU 2004 zwar zeitweilig ein Gewerbe angemeldet, jedoch mit Einnahmen aus Schwarzarbeit seinen Lebensunterhalt bestritten hat. Ein Aufenthaltsrecht zur Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit kann nur innerhalb der Rechtsordnung, dh nur für legale Tätigkeiten, bestehen.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 Sätze 1-2, § 8; FreizügG/EU § 2 Abs. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 1; FreizügG/EU §§ 4, 5 Abs. 5, § 13; EGV Art. 12, 18, 17; Richtlinie 2004/34/EG Art. 14 Abs. 4b, 1, Art. 24 Abs. 2; SGB III § 284 Abs. 1, § 15 Sätze 2-3; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2-3; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren von der Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die 1981 geborene Antragstellerin zu 1. ist litauische Staatsangehörige und lebt nach ihren Angaben seit vier Jahren in Deutschland. Die Antragstellerin zu 2. wurde 2007 geboren. Die Antragsgegnerin erteilte der Antragstellerin zu 1. am 20. April 2005 eine Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Danach genießt die Antragstellerin zu 1. Freizügigkeit gemäß § 2 Abs. 1 i.V.m. § 13 FreizügG/EU. Die Gültigkeit der Bescheinigung ist befristet bis zum 19. April 2010. Eine unselbständige Beschäftigung ist nur nach Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 284 Abs. 1 SGB III gestattet. Die Antragstellerin zu 1. hat zum 1. Juni 2005 ein Gewerbe angemeldet (Reinigungstätigkeiten in privaten Haushalten, Bedienungstätigkeiten), das sie zum 18. Oktober 2006 wieder abgemeldet hat.

Die Antragstellerin zu 1. beantragte am 20. September 2006 und mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 1. Dezember 2006 bei der Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Den Antrag hat die Antragsgegnerin - soweit ersichtlich - bisher nicht beschieden.

Die Antragstellerin zu 1. hat am 7. Dezember 2006 beim Sozialgericht Wiesbaden um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie verfüge seit ihrer Trennung von ihrem Lebensgefährten im Sommer 2006 über keine regelmäßigen Einkünfte mehr. Sie habe ihren Lebensunterhalt seitdem aus Schwarzarbeit, von geliehenem Geld, monatlichen Zuwendungen ihrer einkommensschwachen Mutter aus Litauen in Höhe von ca. 100 EUR bis ca. 150 EUR und den Lebensmitteleinkäufen ihrer Mitbewohnerin bestritten. Die Antragstellerin zu 1. sei erwerbsfähig, könne aber zunächst wegen Schwangerschaft und jetzt wegen der Betreuung ihres Babys - der Antragstellerin zu 2. - ihren Lebensunterhalt nicht durch Erwerbstätigkeit sicherstellen. Sie habe zum 1. Juni 2006 eine private Krankenversicherung abgeschlossen, deren monatliche Beiträge in Höhe von 250 EUR sie bisher mit geliehenem Geld finanziert habe. Auf ihren weiteren Leistungsantrag nach dem SGB II vom 1. Dezember 2006 habe die Antragsgegnerin nicht reagiert.

Die Antragsgegnerin ist dem Begehren entgegengetreten. Sie vertritt die Auffassung, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei mit Rücksicht auf die fehlende Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin zu 1. nach § 8 Abs. 2 SGB II nicht gegeben. Weder sei der Antragstellerin zu 1. die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt worden noch könne ihr die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt werden.

Das Sozialgericht Wiesbaden hat den Leistungen nach dem SGB II betreffenden Antrag auf ...

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