Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunftskosten. Angemessenheit. Aufklärungspflicht des Trägers. Nichtanwendung der Wohngeldtabelle. Wohnflächengrenze des sozialen Wohnungsbaus
Leitsatz (amtlich)
1. Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten ist als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro m² zu ermitteln ("Produkttheorie", ebenso LSG Essen vom 1.8.2005 - L 19 B 21/05 AS ER und vom 24.8.2005 - L 19 B 28/05 AS ER = FEVS 57, 320 und BVerwG vom 28.4.2005 - 5 C 15/04 = FEVS 57, 208).
2. Die Angemessenheit der Unterkunftskosten ist nach den Vorschriften des SGB 2 bzw SGB 12 von Amts wegen zu ermitteln (§ 20 SGB 10) und kann nicht durch die Anwendung der Wohngeldtabelle nach § 8 Wohngeldgesetz (WoGG - juris: WoGG 2) ersetzt werden. Die Wohngeldtabelle kann auch nicht als Orientierungshilfe herangezogen werden, auch nicht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte bzw Verwaltungsgerichtshöfe zum Bundessozialhilfegesetz).
3. Die berücksichtigungsfähige Wohnfläche kann anhand der Kriterien der Förderungswürdigkeit im sozialen Wohnungsbau nach den hierfür geltenden Vorschriften beantwortet werden (vgl BVerwG vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 = BVerwGE 97, 110). Nach den hessischen Richtlinien zur Sozialen Wohnraumförderung ist eine Wohnungsgröße für eine Person bis 45 m², für zwei Personen bis 60 m² und für jede weitere Person 12 m² angemessen.
4. Nach der summarischen Prüfung im Eilverfahren sind im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin (Landkreis Waldeck/Frankenberg), hier: A-Stadt und Umgebung, Unterkunftskosten für einen allein stehenden Hilfeempfänger in Höhe von 200 EUR (4,44 EUR pro m²) einschließlich Nebenkosten sozialhilferechtlich angemessen.
Orientierungssatz
1. Bei der Beurteilung der Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft ist nicht auf den jeweiligen örtlichen Durchschnitt aller gezahlten Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Leistungsempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser tatsächlichen Grundlage eine Mietpreisspanne zu ermitteln (vgl BVerwG vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 = BVerwGE 97, 110).
2. Es muss gewährleistet sein, dass nach der Struktur des örtlichen Wohnungsbestandes die Hilfeempfänger tatsächlich die Möglichkeit haben, mit den als angemessen bestimmten Beträgen eine bedarfsgerechte und menschenwürdige Unterkunft anmieten zu können. Sonst sind die Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe zu übernehmen (vgl BVerwG vom 28.4.2005 aaO).
3. Danach ist es zunächst Sache des Leistungsträgers, die Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft unter Berücksichtigung des vorhandenen Wohnraums im unteren Bereich zu ermitteln. Dabei kann sich der Leistungsträger auf örtliche Mietspiegel stützen oder andere Erkenntnisquellen verwenden, zB Mietpreisübersichten des Verbandes Deutscher Makler oder anderer privater Organisationen, Auswertungen der Wohnungsangebote in den lokalen Zeitungen, Erkenntnisse des Wohnungsamtes oder andere nachvollziehbar dokumentierte Erfahrungswerte (vgl OVG Münster vom 14.9.2001 - 12 A 4923/99 = FEVS 53, 563).
4. Die Anwendung der Werte der Tabelle zu § 8 WoGG 2 ist nur dann unbedenklich, wenn der örtliche Wohnungsmarkt damit hinreichend abgebildet wird (vgl OVG Lüneburg vom 29.1.2004 - 12 LB 454/02 = FEVS 56, 358).
5. Existieren bei Leistungsträgern mit räumlich großem Zuständigkeitsbereich oder intern stark gegliederter Siedlungsstruktur klar voneinander abgegrenzte Teilwohnungsmärkte mit deutlich unterschiedlichem Mietniveau, etwa in Flächenlandkreisen zwischen der Kreisstadt und dem Umland, ist jedenfalls in Bestandsfällen auf die Teilwohnungsmarktverhältnisse des tatsächlichen Wohnorts des Hilfeempfängers abzustellen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel v. 4. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe.
Der Antragsteller bezog bis zum 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe von der Bundesagentur für Arbeit. Unter dem 27. September 2004 beantragte er Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 1. Januar 2005, die die Antragsgegnerin bewilligte. Dabei berücksichtigte sie zunächst die Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe. Mit Schreiben vom 28. Februar 2005 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf hin, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht würden, soweit diese angemessen seien. Nach der ständigen Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zu der vergleichbaren Regelung des bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) seien im Bereich des Landkreises W.-F. Unterkunftskosten al...