Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. gewöhnlicher Aufenthalt von ausländischen Staatsangehörigen. Leistungsausschluss für wirtschaftlich inaktive Unionsbürger. Erwerbstätigkeitsbegriff. Europarechtskonformität

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der gewöhnliche Aufenthalt eines Ausländers nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 2 idF des Änderungsgesetzes vom 24.3.2006 (BGBl I 558) setzt keinen rechtmäßigen Aufenthalt voraus.

2. Der Leistungsausschluss für Ausländer nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 idF des Änderungsgesetzes vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) hat Vorrang gegenüber dem fiktiven Erwerbsunfähigkeitsausschluss nach § 8 Abs 2 SGB 2.

3. Eine Erwerbstätigkeit setzt auch europarechtlich einen wirtschaftlichen Güteraustausch voraus.

4. Jedenfalls bei wirtschaftlich inaktiven Unionsbürgern, die sich nicht zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, ist der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 idF vom 19.8.2007 europarechtskonform, wenn keine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt besteht.

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 idF vom 19.8.2007 führt gleichzeitig zu einem Ausschluss von Leistungen der Sozialhilfe nach § 21 Abs 1 SGB 12; es sei denn, nach anderen supranationalen Regelungen wie zB dem Europäischen Fürsorgeabkommen ergibt sich eine entsprechende Leistungsverpflichtung.

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. März 2009 wird zurückgewiesen.

II. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind auch nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Hintergrund des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bildet in der Hauptsache vor allem die Frage, ob die Antragsteller wegen ihrer rumänischen Staatsangehörigkeit von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind.

Die 1986 geborene Antragstellerin zu 1 reiste erstmals am 1. November 1994 mit ihren Eltern nach Deutschland ein. Nach Ablauf der letzten Aussetzung der Abschiebung (Duldung) zum 24. März 2006, die am 23. Juni 2004 angedroht worden war, verließ sie Deutschland zum 30. Juni 2006. Nachdem sie zunächst als Touristin wieder in Deutschland vor der Geburt ihrer Tochter in A-Stadt am 8. Februar 2007 (Antragstellerin zu 2) eingereist war, zeigte sie am 15. Februar 2007 ihren Aufenthalt nach § 5 FreizügG/EU zur Arbeitsplatzsuche an. Die Ausländerbehörde der Antragsgegnerin stellte ihr mit Datum vom 19. November 2007 eine entsprechende Bescheinigung aus, nach der sie gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU Freizügigkeit genieße. Ebenfalls meldete die Antragstellerin zu 1 ein Gewerbe - Zeitungsverkauf - an. Als Betriebsstätte und Hauptniederlassung gab sie die Unterkunft an, in die sie zunächst mit der Antragstellerin zu 2 gezogen war. Es handelte sich dabei um eine Art Sammelunterkunft in A-Stadt, welche einer rumänischen Kirche gehörte, in der auch ihre Großeltern lebten. Anschließend zog sie zu ihrer Tante, der Zeugin E., in der F-Straße in A-Stadt, die dort mit ihrem nichtehelichen Partner und dem gemeinsamen Kind lebt. Gemeldet war sie dort seit dem 30. Juli 2008. Seither muss die Antragstellerin zu 1 vom Zeitungsverkauf leben, auch manchmal betteln. Den Zeitungsverkauf organisiert der Verein “Selbsthilfeorganisation X e.V.„ in G. - Verein -. Der Verein hat ihr einen Verkäuferausweis ausgestellt. Wegen der Einzelheiten des Zeitungsverkaufs wird auf die Angaben der Antragstellerin zu 1 aufgrund einer persönlichen Befragung durch den Berichterstatter im Erörterungstermin vom 7. August 2009 verwiesen. An den Kosten der Unterkunft musste sie sich aber nicht beteiligen. Auch unterstützte die Zeugin die Antragstellerin zu 1, soweit sie aus eigenen Mitteln den Lebensunterhalt nicht bestreiten konnte. Die Antragstellerin zu 1 gab ihre Tätigkeit ab dem 8. Februar 2009 wegen Mutterschutzes auf. Am 25. März 2009 wurde ihr Sohn, Antragsteller zu 3, in A-Stadt geboren. Spätestens seit August 2009 ist die Antragstellerin zu 1 wieder als Zeitungsanbieterin tätig. Einer Erklärung des Vereins vom 3. August 2009 ist zu entnehmen, dass sie für den Verkauf von ca. 300 Zeitungen ca. 240,00 € verdient. Laut weiterer Auskunft des Vereins vom 1. Oktober 2009 soll sie ca. 500 Zeitungen im Monat verkaufen und hierfür ca. 400,00 € monatlich erhalten.

Die Antragstellerin zu 1 erhält für ihre Tochter und den später geborenen Sohn Kindergeld. Unterhaltsleistungen des Vaters erhält sie hingegen nach eigenen Angaben nicht, weil der Vater ihrer Behauptung nach unbekannt sei.

Am 26. August 2008 beantragte die Antragstellerin zu 1 für sich und zunächst nur ihre Tochter Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Sie könne allein aufgrund ihres Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 400,00 € monatlich neben dem Kindergeld den notwendigen Lebensunterhalt für sich und das Kind nicht decken. Die Antragsgegnerin lehnte letztlich mit Bescheid vom 23. März 2009 den Antrag ab. Gegen den den Antragstellern am 14. Mai 2009 bekanntgegebenen Bescheid legten diese am 20. Mai 2009 Widerspruch ein.

Am 17. September 2008 haben sich die Antrags...

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