Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz gegen Vollstreckungsankündigung. Zulässigkeit. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. durch Verwaltungsakt festgestellte Erstattungsansprüche des Leistungsträgers nach § 328 Abs 3 S 2 SGB 3. Verjährung

 

Orientierungssatz

1. Zur Zulässigkeit von vorbeugendem vorläufigem Rechtsschutz gegen in Aussicht gestellte Vollstreckungsmaßnahmen.

2. Zur Verjährung eines durch Verwaltungsakt festgestellten Erstattungsanspruchs des Leistungsträgers nach § 328 Abs 3 S 2 SGB 3.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 13. November 2020 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Die am 18. November 2020 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde des Antragsgegners mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 13. November 2020 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen,

ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde ist nach § 172 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Ein Beschwerdeausschluss ergibt sich weder aus § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG noch aus §§ 198 ff. SGG i. V. m. den Vorschriften des Achten Buchs der Zivilprozessordnung (ZPO).

Über die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges hat der Senat nicht abschließend zu befinden. Denn nach § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Eine Entscheidung in der Hauptsache im Sinne des § 17a Abs. 5 GVG liegt jedenfalls dann vor, wenn - wie hier - das erstinstanzliche Gericht eine Entscheidung in einer Sachfrage getroffen hat (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7. Dezember 2017 - L 8 SO 206/17 B ER -). § 17a Abs. 5 GVG ist im Beschwerdeverfahren entsprechend anwendbar (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7. Dezember 2017 - L 8 SO 206/17 B ER -; Keller in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 11. Aufl., § 51 Rn. 71 m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 15. November 2000 - 3 B 10/00 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 286 m. w. N.; Hessischer VGH, Beschluss vom 24. August 2006 - 7 TJ 1763/06 - m. w. N.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Januar 2020 - 9 S 2797/19 - m. w. N.). Die Bindungswirkung des § 17a Abs. 5 GVG besteht unabhängig davon, ob ein Beteiligter die Zulässigkeit des Rechtswegs vor dem Sozialgericht in Frage gestellt hat. Sie gilt auch dann, wenn das Sozialgericht - wie hier - den Rechtsweg nur inzident bejaht hat (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2011 - B 6 KA 11/10 R - BSGE 108, 35 m. w. N.).

Ungeachtet der Frage der Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts dürfte hier der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 Abs. 1 SGG) gegeben sein. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Einrede der Verjährung gegen die Berechtigung des Antragsgegners, die Erstattungsforderung geltend zu machen. Dabei handelt es sich nicht um Einwendungen gegen die Art und Weise der von dem Antragsgegner beabsichtigten Zwangsvollstreckung, für die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet wäre, soweit - wie hier - nach §§ 40 Abs. 8 Halbsatz 2 SGB II, 66 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit dem einschlägigen Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) des Landes (hier: § 12 Hessisches VwVG) kommunale Behörden für die Vollstreckung zuständig sind (vgl. BSG, Beschluss vom 25. September 2013 - B 8 SF 1/13 R - SozR 4-1500 § 51 Nr. 11; BVerwG, Beschluss vom 29. August 2016 - 5 B 74/15 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Juli 2013 - L 7 AS 695/13 B -; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 200 Rn. 2). Die Antragstellerin wendet sich vielmehr gegen die Berechtigung des Antragsgegners, die Erstattungsforderung geltend zu machen. Diese steht in einem rechtlichen Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit nach dem SGB II. Bei dem Gegenstand des Rechtsstreits handelt es sich somit um eine Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG, so dass der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet sein dürfte (vgl. BSG, Urteil vom 2. März 1973 - 12/3 RK 2/71 - BSGE 35, 236; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Mai 2020 - L 3 AS 1168/20 ER-B - m. w. N.; Keller in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 51 Rn. 39 „Vollstreckung“).

Die danach zulässige Beschwerde ist aber nicht begründet.

Einstweiliger Rechtsschutz durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG kommt nur in Betracht, soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliegt. Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass einstweiliger Rechtsschutz vorliegend nach § 86b Abs. 2 SGG zu gewähren ist. Denn gegen die bloße Ankündigung der zwangsweisen Einziehung der Forderun...

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