Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Sozialhilfe. Darlehen für Mietkaution und Umzugskosten. keine Aufrechnung zur Darlehenstilgung. Treu und Glauben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Aufrechnung handelt es sich um die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Aufrechnung richtet sich daher regelmäßig nach § 86b Abs 2 SGG. Offen bleibt, ob die Behörde befugt ist, die Aufrechnung auch durch Verwaltungsakt zu regeln.

2. Die Einbehaltung monatlicher Darlehensrückzahlungsraten für eine Mietkaution und Umzugskosten kann weder auf §§ 29, 37 SGB 12 noch auf § 26 SGB 12 gestützt werden. §§ 51, 54 SGB 1 ermöglichen eine Aufrechnung nur, soweit die Ansprüche des Leistungsberechtigten pfändbar sind. Das ist bei Ansprüchen auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB 12 nicht der Fall.

3. Der Behörde ist es insoweit wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, sich auf Tilgungsvereinbarungen in Darlehensverträgen zu berufen (vgl LSG Stuttgart vom 6.9.2006 - L 13 AS 3108/06 ER = info also 2007, 119 und LSG Darmstadt vom 5.9.2007 - L 6 AS 145/07 ER = info also 2007, 268).

 

Orientierungssatz

1. Eine auf § 29 iVm § 37 SGB 12 gestützte Entscheidung des Sozialhilfeträgers, Teile der laufenden Leistung nach dem SGB 12 zur Tilgung eines Darlehens einzubehalten, ist nach dem Widerruf des Einverständnisses durch den Sozialhilfeempfänger als Aufrechnung anzusehen.

2. Zur unzulässigen Auslegung von Darlehensverträgen als (Teil-)Verzicht auf Sozialleistungen iS des § 46 Abs 1 SGB 1.

3. Ein erheblicher Nachteil als Voraussetzung zum Erlass einer einstweiligen Anordnung gem § 86b Abs 2 S 2 SGG ist dann gegeben, wenn die Herabsetzung der laufenden Leistungen nach dem SGB 12 im Wege der Aufrechnung zur Darlehenstilgung dazu führt, dass das gesetzlich gewährleistete Existenzminimum nicht mehr sichergestellt ist. Bei einem Betrag von 34,70 Euro monatlich bei einer alleinstehenden Person handelt es sich auch nicht um einen Bagatellbetrag.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 5. November 2007 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab 11. August 2007 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ohne Einbehaltung von Rückzahlungsbeträgen für Mietkautions- und Umzugskostendarlehen zu gewähren.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) von dem Antragsgegner. Er wendet sich gegen die Einbehaltung in Höhe von derzeit noch 34,70 EUR monatlich aufgrund ihm gewährter Darlehen für Umzugskosten und Mietkaution.

Zum 1. November 2006 bezog der Antragsteller die Wohnung A-Straße in A-Stadt. Nach dem am 18. Oktober 2006 geschlossenen Mietvertrag beträgt die Miete einschließlich Betriebskosten für die 38,52 m² große Wohnung 270 EUR monatlich. Im Zusammenhang mit dem Umzug bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Darlehensverträgen vom 23. Oktober 2006 und vom 4. Dezember 2006 Darlehen nach § 37 SGB XII in Höhe von 538 EUR und von 371,20 EUR zur Zahlung der Mietkaution und der Umzugskosten. Nach den Verträgen verpflichtet sich der Antragsteller zur Rückzahlung der Darlehen in Höhe von jeweils 20 EUR monatlich ab 1. November 2006 bzw. ab 1. Januar 2007, die unmittelbar von den Leistungen nach dem SGB XII einbehalten werden. Der Antragsgegner behielt von den dem Antragsteller bewilligten Leistungen mit Änderungsbescheid vom 2. November 2006 20 EUR ab November 2006 und mit weiterem Änderungsbescheid vom 15. Dezember 2006 40 EUR ab Januar 2007 ein. Unter dem 5. Juni 2007 beantragte der Antragsteller die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB XII. Dabei gab er u.a. an, über kein Vermögen zu verfügen. Mit Bescheid vom 15. Juni 2007 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 1. Juli 2007 bis zum 30. Juni 2008, wobei von der Grundsicherungsleistung in Höhe von 173,16 EUR weiterhin 40 EUR einbehalten wurden. Mit Änderungsbescheid vom 25. Juni 2007 berechnete der Antragsgegner die Leistungen unter Berücksichtigung der Erhöhungen des Regelsatzes und der Erwerbsunfähigkeitsrente ab 1. Juli 2007 neu. Der Änderungsbescheid enthält folgende Bestimmung: “Dieser Bescheid hebt alle vorhergehenden Bescheide über die Höhe der Gewährung von Hilfe nach dem SGB XII auf, soweit sie sich auf gleiche Zeiträume beziehen. Die übrigen Bestimmungen des Erstbescheides bleiben weiterhin bestehen.„ Mit anwaltlichem Schreiben vom 10. Juli 2007, bei dem Antragsgegner eingegangen am 11. Juli 2007, hat der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Juni 2007 eingelegt. Zur Begründung hat er gelte...

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