Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. seelische Störung als Unfallfolge. Beweislast
Orientierungssatz
1. Akute abnorme seelische Reaktionen kommen als Unfallfolgen in Betracht, wenn sich die Symptome unmittelbar nach einem schädigenden Ereignis entwickelt haben, das mit einer so schweren seelischen Belastung verbunden war, dass auch bei gewöhnlicher seelischer Reaktionsweise eine ausgeprägte Reaktion zu erwarten gewesen wäre.
2. In der Regel klingen psychische Folgen in wenigen Monaten, selten im Verlauf von ein bis zwei Jahren ab. Bei Chronizität der Verläufe wird aus psychiatrischer und psychoanalytischer Sicht betont, nur schweren psychischen Traumen, die zu einer Umstrukturierung des Ichs führten, sei der Stellenwert einer wesentlichen oder zumindest gleichwertigen Ursache für das Ingangkommen einer psychischen Störung beizumessen. Psychisch bedingte Gesundheitsstörungen können allerdings nicht als Unfallfolge Anerkennung finden, sofern sie im Wesentlichen auf wunschbedingten Vorstellungen beruhen. Die Simulationsnähe neurotischer Störungen und die Schwierigkeit, solche Störungen von Fällen der Simulation und Aggravation klar zu unterscheiden, gebieten, eine eindeutig abgegrenzte Beweisantwort vom ärztlichen Sachverständigen zu verlangen und bei der Beweiswürdigung einen strengen Maßstab anzulegen.
3. Gelingen eindeutige Feststellungen nicht, trägt der Betroffene die Folgen der Nichtaufklärbarkeit seelischer Störungen, ihrer Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihrer Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit.
Tatbestand
Die Klägerin streitet um die Weitergewährung einer Verletztenrente über den Monat Januar 1997 hinaus.
Die Klägerin war als Reinigungskraft im Fitness-Center R in W beschäftigt und rutschte am 31. März 1995 auf dem Nachhauseweg von der Arbeit auf einem eisglatten Gehweg aus, wobei sie sich einen Bruch des linken Außenknöchels zuzog. Nach konservativer Behandlung wurde sie ab 21. Juli 1997 wieder arbeitsfähig.
Mit Bescheid vom 10. Juli 1996 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. ab 21. Juli 1995 bis 29. Februar 1996 und lehnte darüber hinaus die Gewährung der Verletztenrente ab, da eine MdE rentenberechtigenden Grades nicht mehr feststellbar sei. Als Unfallfolgen wurden nach einem in achsengerechter Stellung knöchern fest verheilten Außenknöchelbruch (Typ Weber C) links eine Bewegungseinschränkung im linken oberen Sprunggelenk, eine geringgradige Bewegungseinschränkung im linken unteren Sprunggelenk, eine Schwellneigung im Bereich des linken Außenknöchels und eine Kalksalzminderung im linken oberen Sprunggelenk festgestellt. Bei einer Zuckererkrankung und einer Fußheber-/Fußsenkerschwäche rechts handele es sich um nicht unfallbedingte Leiden. Dem Bescheid lag das Gutachten des Assistenzarztes W, Kreiskrankenhaus W, vom 10. Mai 1996 zugrunde. Auf den Widerspruch der Klägerin korrigierte die Beklagte ihre Entscheidung mit Bescheid vom 14. August 1996 und gewährte der Klägerin über den Monat Februar 1996 hinaus bis auf weiteres die vorläufige Verletztenrente.
Die Beklagte ließ zur erstmaligen Feststellung der Dauerrente das Gutachten der Dres. Sch und H, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik F (BGUK), vom 11. November 1996 erstellen, das die bei der Klägerin verbliebenen Unfallfolgen in Gestalt einer leichten Verplumpung der linken Knöchelgabel, einer geringgradigen Minderung der Dauerbelastbarkeit des linken oberen Sprunggelenks bei freier Beweglichkeit und röntgenologisch knöchern konsolidierter körperferner Wadenbeinfraktur links mit einer MdE von weniger als 10 v.H. bewertete. Nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 3. Dezember 1996 entzog die Beklagte mit Bescheid vom 15. Januar 1997 die vorläufige Verletztenrente mit Ablauf des Monats Januar 1997 und lehnte die Gewährung einer Dauerrente darüber hinaus ab. Als Unfallfolgen erkannte sie an:
Nach in achsengerechter Stellung knöchern fest verheiltem Außenknöchelbruch (Typ Weber C) links: Leichte Verplumpung der linken Knöchelgabel, geringgradige Minderung der Dauerbelastbarkeit des linken oberen Sprunggelenks.
Die Nichtunfallfolgen bezeichnete sie unverändert. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 1997 verblieb sie bei dieser Entscheidung.
Mit Klage vom 8. April 1997 machte die Klägerin vor dem Sozialgericht Gießen (SG) geltend, ihre Unfallfolgen rechtfertigten eine MdE von mindestens 20 v.H. auch über den Monat Januar 1997 hinaus, da der Fuß weiterhin nicht dauerhaft belastbar sei, weswegen sie sich auf eine Attest des behandelnden praktischen Arztes Dr. T vom 24. Juli 1997 berief.
Das SG holte den Befundbericht des Dr. T vom 11. Mai 1998, das fachorthopädische Gutachten des Dr. K vom 26. Juni 1998 von Amts wegen sowie auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Orthopäden W vom 13. August 1999 ein. Beide Sachverständige bewerteten die am linken Bein der Klägerin verbliebenen Unfallfolgen mit einer MdE von 10...