Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsausfüllende Kausalität. Erstschaden als notwendige Anknüpfungstatsache. seelische Erkrankung
Leitsatz (amtlich)
Zur Bedeutung eines (seelischen) Erstschadens als notwendiger Anknüpfungstatsache im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und einer als Unfallfolge geltend gemachten depressiven Störung.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. November 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die 1960 geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls, den sie als bei der Beklagten versicherte selbstständige Gastwirtin am 26. November 2001 erlitten hat.
Sie wurde am 26. November 2001 auf dem Weg zu einer geschäftlichen Besorgung auf einem Zebrastreifen als Fußgängerin von einem Auto angefahren und erlitt dabei eine Gehirnerschütterung, einen Teilriss des Außenbandes am linken Sprunggelenk, eine Platzwunde über dem Innenknöchel sowie mehrere Prellungen. Bis 27. November 2001 wurde sie stationär im Krankenhaus Witzenhausen behandelt (Berichte des Durchgangsarztes und Chirurgen Dr. D. vom 26. November und 6. Dezember 2001). Nachdem die Klägerin der Beklagten gegenüber das Auftreten epileptischer Anfälle nach dem Unfall angezeigt hatte, zog die Beklagte diverse medizinische Befundunterlagen des unfallchirurgischen und des neurologischen Zentrums sowie der Abteilung Psychosomatik der Universitätsklinik Göttingen bei, des Neurologen und Psychiaters E., der Ärztin und Psychotherapeutin F. und des Orthopäden Dr. G., die sie vom beratenden Neurologen und Psychiater Dr. H. auswerten ließ. Nach dessen Stellungnahme vom 26. August 2003 seien über eine Gehirnerschütterung hinaus keine Folgen des streitigen Arbeitsunfalls auf neurologischem Gebiet nachweisbar, sodass die Voraussetzungen zur Annahme eines posttraumatischen Anfallsleidens bei der Klägerin nicht bejaht werden könnten. Soweit bei ihr epileptische Anfälle aufgetreten seien, müssten diese andere Ursachen haben. Für die Annahme einer posttraumatischen Belastungsreaktion fehle dem Unfallereignis die erforderliche Schwere.
Die Beklagte ließ ein neurologisch-psychiatrisches Zusammenhangsgutachten bei Prof. J. erstatten. In seinem Gutachten vom 3. Oktober 2003 ging dieser zunächst davon aus, dass bei der Klägerin ein zerebrales Anfallsleiden bereits vor dem streitigen Arbeitsunfall bestanden habe, das durch diesen vorübergehend verschlimmert worden sei. Dabei bewertete er den Verschlimmerungsanteil des zerebralen Anfallsleidens mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. ausgehend von einer umschriebenen Gliawucherung im Marklager der linken Hirnhälfte. Zwischen dem Arbeitsunfall und diesem Leiden bestehe kein unmittelbarer Kausalzusammenhang aber ein mittelbarer der Gestalt, dass eine vorbestehende Disposition zu Krampfanfällen sich posttraumatisch verstärkt habe. Die Beklagte zahlte der Klägerin daraufhin Verletztengeld bis zum 24. Februar 2004.
Auf Veranlassung des Prof. J. und des die Beklagte beratenden Neurologen Dr. K. wurde die Klägerin vom 29. Januar bis 31. März 2004 auf Kosten der Beklagten stationär im Epilepsiezentrum Kork aufgenommen. Nach dem Behandlungsbericht des Zentrums vom 31. März 2004 konnte die Klinik ein aktives zerebrales Anfallsleiden nicht bestätigen. Während des Behandlungszeitraumes waren lediglich zwei psychogene Anfälle registriert worden. Der Bericht des Zentrums vom 31. März 2004 führt zusammenfassend aus:
“Die von der Patientin gemeldeten Unwohlseinszustände (Schwindel, Kältegefühl, Schwäche) mit teilweise fehlender Reaktion auf Ansprache zeigten kein elektrophysiologisches Korrelat. Wir schätzen diese Ausnahmezustände als psychogen ein. Ebenfalls konnten wir zwei psychogene Anfälle im Sinne einer dissoziativen Reaktion registrieren, die von der Anfallssemiologie sekundär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen ähneln, aber als eindeutig psychogen zu klassifizieren sind. Derzeit gibt es keine Hinweise für eine aktive Epilepsie.„
Prof. J. korrigierte daraufhin sein Gutachten am 20. April 2004, da er eine unfallbedingte Verschlimmerung des bei der Klägerin vorbestehenden psychischen Leidens nicht mehr für erwiesen hielt. Denn die psychogenen Anfälle hätten sich als bewusst herbeigeführt herausgestellt. Die in seinem Erstgutachten aufgrund eines von der Klägerin vorgelegten Anfallskalenders behaupteten ca. fünf großen Anfälle pro Monat sowohl im Schlaf als auch den Tag über verteilt hätten sich in der langfristigen stationären Beobachtung der Klägerin nicht bestätigt. Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet könne er daher nicht vorschlagen.
Am 24. Juni 2002 wurde in der Orthopädischen Universitätsklinik Göttingen bei der Klägerin zur Beseitigung einer chronischen Instabilität am l...