Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Minderung. befristetes Arbeitsverhältnis. Verschuldenserfordernis. Verhältnis von Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II im einstweiligen Rechtsschutz. rückwirkende Gewährung von Leistungen im einstweiligen Rechtsschutz
Leitsatz (redaktionell)
1. Es dürfte davon auszugehen sein, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung von § 37 b Satz 2 SGB III „spätestens” statt „frühestens” formulieren wollte. Von einem juristisch nicht vorgebildeten Bürger kann jedoch nicht erwartet werden, den Wortlaut des Gesetzes zu negieren und diesem einen entgegengesetzten Sinn zu geben. Er darf daher ohne Verschulden der Ansicht sein, sich nicht spätestens drei Monate vor Ende seines befristeten Arbeitsverhältnisses arbeitssuchend melden zu müssen.
2. Wird im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Zahlung einer Versicherungsleistung geltend gemacht, die dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG unterfällt (hier: Arbeitslosengeld), kommt ein Verweis auf Arbeitslosengeld II nicht in Betracht.
3. Eine rückwirkende Gewährung von Leistungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kommt dann in Betracht, wenn der Antragsteller einen besonderen Nachholbedarf glaubhaft macht oder die Nichtgewährung in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirkt und eine gegenwärtige Notlage bewirkt.
Normenkette
SGB III §§ 140, 37b; SGG § 86b Abs. 2 S. 1; GG Art. 14 Abs. 1
Tenor
- Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts A-Stadt vom 24. März 2005 aufgehoben.
- Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, an den Antragsteller den vom Arbeitslosengeld für die Zeit vom 3. August 2004 einbehaltenen Kürzungsbetrag in Höhe von 1.500,-- € auszuzahlen.
- Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller war zuletzt seit Oktober 2002 – mit Unterbrechungen – als Bauingenieur beschäftigt. Sein letztes Arbeitsverhältnis begann am 1. Januar 2004 und war ausweislich der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers bis zum 31. Juli 2004 befristet.
Am 3. August 2004 meldete sich der Antragsteller arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Diese Leistung bewilligte ihm die Antragsgegnerin, nahm jedoch eine Kürzung des auszuzahlenden Betrages vor. Den Bewilligungsbescheid vom 8. Dezember 2004 erläuternd, teilte sie dem Antragsteller mit Schreiben vom 6. Dezember 2004 mit, nach § 37b des Dritten Buches des Sozialgesetzbuch (SGB III) seien Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis ende, verpflichtet, sich unverzüglich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden, sobald sie den Zeitpunkt der Beendigung ihres versicherungspflichtigen Verhältnisses kennen würden. Dieser Pflicht sei der Antragsteller nicht rechtzeitig nachgekommen. Er hätte sich spätestens am 3. Mai 2004 bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend melden müssen. Dieser Tag sei der erste Tag mit Dienstbereitschaft der Agentur für Arbeit nach dem Tag der Kenntnisnahme (1. Januar 2004) von der Beendigung des versicherungspflichtigen Verhältnisses. Der Antragsteller habe sich jedoch erst am 3. August 2004 gemeldet, so dass die Meldung um 92 Tage zu spät erfolgt sei. Nach § 140 SGB III mindere sich der Anspruch auf Leistungen um 50,-- € für jeden Tag der verspäteten Meldung (längstens jedoch für 30 Tage). In seinem Falle errechne sich somit ein Minderungsbetrag in Höhe von insgesamt 1.500,-- €. Die Minderung erfolge, indem dieser Minderungsbetrag auf die halbe Leistung angerechnet werde, dass heiße, dem Antragsteller werde bis zur vollständigen Minderung des Betrages nur die Hälfte der ohne die Minderung zustehenden Leistung ausgezahlt. Die Höhe des Abzuges von der täglichen Leistung betrage 21,29 €. Die Anrechnung beginne am 3. August 2004 und sei (voraussichtlich) mit Ablauf des 12. Oktober 2004 beendet. Der Widerspruch, mit dem der Antragsteller geltend machte, dass nach dem Gesetz im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses die Meldung “frühestens” drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen habe, die “Umdeutung” von “frühestens” in “spätestens” mithin eine Gesetzesumgehung seitens der Antragsgegnerin darstelle, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 2. März 2005). Über die Klage ist noch nicht entschieden (Sozialgericht Darmstadt S 11 AL 125/05).
Bereits am 27. Januar 2005 hatte der Vermieter des Antragstellers beim Amtsgericht A-Stadt Klage (302 C 11/05) wegen Räumung von Wohnraum und ausstehenden Mietzins erhoben und beantragt, den Antragsteller zu verurteilen, die von ihm innegehaltene Wohnung zu räumen und alle übergebenen Schlüssel an den Vermieter herauszugeben sowie an diesen 3.600,-- € nebst Zinsen zu zahlen.
Insbesondere unter Hinweis auf diese Räumungsklage hat der Antragsteller am 15. März 2005 beim Sozialgericht Darmstadt (SG) beantragt, die bei ihm vorgenommene Minderung seines Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.500,-- € unverzüglich rückgängig zu machen. Durch Beschluss vom 24. ...