Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Beschluss des LSG Darmstadt vom 4.9.2020 - L 4 KA 13/20 B, der vollständig dokumentiert ist.
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 5. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die weitere Beschwerde an das Bundessozialgericht wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um den Rechtsweg für eine Klage gegen die Heranziehung der Klägerin zum Ärztlichen Bereitschaftsdienstes (ÄBD). Die Klägerin ist Ärztin für Urologie, ausschließlich privatärztlich tätig und hat ihren Praxissitz in A-Stadt. Mit Schreiben vom 15. Mai 2019 informierte die Beklagte die Klägerin über die Einbeziehung der Privatärzte in den ÄBD der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen (u.a. über Procedere, Teilnahmevoraussetzungen/Nachweise, Befreiungsgründe, Altersgrenze, finanzielle Rahmenbedingungen). Hiergegen legte die Klägerin am 16. Juli 2019 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Bescheid vom 19. Februar 2020 als unzulässig zurückwies.
Die Klägerin wendet sich mit der am 5. März 2020 erhobenen Klage gegen die Heranziehung zum Bereitschaftsdienst als solche und rügt die fehlende berufsrechtliche Umsetzung der aus § 23 Nr. 2 Hessisches Heilberufegesetz (HessHBerG) folgenden Verpflichtung. Dies wäre nur durch eine gemeinsame BDO von Landesärztekammer und Beklagter möglich gewesen. Sowohl Berufsordnung (BerO) als auch BDO seien unwirksam, soweit sie Pflichten zu Lasten von Privatärzten begründen sollen. Die Klägerin hat die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Verwaltungsgericht beantragt.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 5. Juni 2020 den Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit für eröffnet erklärt.
Die Klägerin vertritt mit ihrer hiergegen gerichteten, am 30. Juni 2020 beim Sozialgericht eingegangenen Beschwerde die Rechtsauffassung, der Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet, da es sich um die Rechtsmaterie des ärztlichen Berufsrechts handele. Keine der Katalogzuständigkeiten des § 51 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei betroffen. Es gäbe keine Norm, die es der Beklagten gestatte, gegenüber Vertragsärzten Verwaltungsakte zu erlassen. Die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass Privatärzte ihrer Regelungsmacht unterworfen seien. In der Folge sei der Sozialrechtsweg nicht für Ärzte eröffnet, die mit dem Vertragsarztsystem nichts zu tun hätten.
Die Beklagte vertritt die Rechtsauffassung, dass der Sozialrechtsweg eröffnet sei. Die streitentscheidenden Normen seien dem Vertragsarztrecht zuzurechnen. Die Rechte und Pflichten aus § 23 Nr. 2 HessHBerG würden durch ihre BDO konkretisiert.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakte des Sozialgerichts Marburg (S 12 KA 137/20) sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG eröffnet.
Die Abgrenzung von § 51 SGG zu § 40 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vollzieht sich bei der Auslegung des Kataloges des § 51 Abs. 1 SGG aufgrund der Funktion des § 51 SGG als abdrängende Sonderzuweisung. Dabei bestehen keine Bedenken gegen eine weite Auslegung des Begriffs der § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG (Hessisches LSG, Beschluss vom 1. Juni 2010, L 1 KR 89/10 KL - juris Rdnr. 6 -; auch zum Folgenden: Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rdnr. 481 f.). Die verbreitete Auslegungsregel, Ausnahmevorschriften eng auszulegen, kann bei der Auslegung von abdrängenden Sonderzuweisungen erst dann Bedeutung gewinnen, wenn sich ein bestimmter Wille des Gesetzgebers nicht ermitteln lässt. Rechtswegregelungen sind in besonderem Maße von Zweckmäßigkeitsüberlegungen des Gesetzgebers bestimmt und dienen, basierend auf dem Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Gerichtszweige, einer sachgemäßen Arbeitsverteilung unter den verschiedenen Gerichtsbarkeiten (BVerwGE 47, 255 ≪259≫). Auch kann § 51 SGG kein beschränkender Systemgedanken entnommen werden, etwa im Sinne einer „Sozialversicherungsgerichtsbarkeit“; vielmehr bilden § 51 SGG und die sonstigen bundes- und landesrechtlichen Zuweisungen ein Konglomerat verschiedenster Materien ab, die aus unterschiedlichen Gründen, oft anlassbedingt und ohne systematischen Gesamtregelungsansatz zugewiesen wurden (Gärditz, Verw 43 (2010), 309 ≪314≫).
Demgemäß besteht weitgehende Einigkeit dahingehend, dass § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG das gesamte Vertragsarztrecht umfasst (statt vieler: Flint in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGG, § 51 Rdnr. 96 ff.), was sich bereits aus der systematischen Auslegung mit § 57a SGG ergibt. Dabei sind nicht nur die Rechtsverhältnisse in Bezug auf die Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung erfasst, sondern auch die Rechtsbeziehungen der Beklagten zu Leistungserbringern. Diese sind auch nicht notwendi...