Verfahrensgang
SG Marburg (Urteil vom 07.06.1994; Aktenzeichen S-3/U-200/91) |
Tenor
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 7. Juni 1994 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger streiten um die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung des türkischen Staatsangehörigen …, des Ehemanns bzw. Vaters der Kläger, der am 1. Januar 1956 geboren war und am 27. Mai 1989 an einem Pleuramesotheliom verstorben ist.
Der Versicherte hatte nach dem Schulbesuch im Heimatort … kurzfristig in der elterlichen Landwirtschaft mitgeholfen und danach zwei Jahre Militärdienst geleistet, bevor er 1979 in die Bundesrepublik übersiedelte. Hier war er ab 19. Juni 1979 als Bauhilfsarbeiter bei der Baufirma … in … tätig, wo er bis 17. April 1980 im Hochbau arbeitete. Vom 12. Mai 1980 bis 15. Januar 1982 sowie vom 1. Oktober 1984 bis zum 25. Januar 1985 verrichtete er Maurerarbeiten bei der Firma … in … Er war schließlich vom 4. Februar 1985 bis 30. September 1986 bei der Firma … in … mit dem maschinellen Zusammenschrauben von Klosettsitzscharnieren beschäftigt. Nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten war der Versicherte bei der Firma … geringfügiger Exposition von asbesthaltigem Feinstaub ausgesetzt. 1981 wurde das firmeneigene Bürogebäude an zwei Arbeitstagen mit Wellasbestzementplatten gedeckt, wobei der Versicherte mit dem Winkelschleifer die Kantenschnitte im Freien ausführte. An zwei oder drei Bauvorhaben wurden die Zuluftkanäle für die Heizungsanlage aus Asbestzementrohren eingebaut. Dabei führte der Versicherte Schnitte für die Paßstücke mit dem Winkel Schleifer in Kellerräumen durch, in denen die Fenster noch nicht eingebaut waren. Es handelte sich jeweils um kurzfristige ca. halbstündige Arbeiten pro Bauvorhaben, bei denen mit hohen Feinstaubkonzentrationen zu rechnen war und wobei vom Versicherten kein Atemschutz benutzt wurde. Bei der Firma … hatte der Versicherte keine asbestbelasteten Maurertätigkeiten verrichtet.
Prof. … erstellte die ärztliche Berufskrankheitenanzeige vom 10. Juli 1986 und vertrat im Gutachten vom 31. Mai 1988 die Auffassung, die berufliche Verursachung des beim Versicherten nachgewiesenen bösartigen epithelialen Mesothelioms sei mögich und im Falle des Ablebens durch Obduktion und elektronenmikroskopische Untersuchung der Lunge weiter aufzuklären. Der Versicherte kehrte kurz vor seinem Ableben in die Türkei zurück und die Beklagte erhielt einen Gewebebefund des Pathologen Dr. … sowie einen Autopsiebericht des Dr. … aus der Türkei. Sie veranlaßte ein pathologisches Gutachten bei Prof. … und Frau Dr. … Diese stellten im Gutachten vom 11. bzw. 12. Juli 1989 eine asbestbedingte Lungenveränderung vom Ausmaß einer Minimalasbestose fest (2018 Asbestkörper pro ccm Lungengewebe). Eine elektronenmikroskopische Faseranalyse durch Prof. … ergab 7 Mio. Chrysotilfasern, 61 Mio. Amphibolfasern sowie 27 Mio. sonstige Mineralfasern pro Gramm Lungentrockengewicht, so daß sich die Gesamtasbestfaserkonzentration im Grauzonenbereich zwischen den Werten bei der nicht beruflich exponierten Bevölkerung und den bei Mesotheliompatienten nachweisbaren Werten bewegte. Auffallend war der erhöhte Anteil an Amphibolfasern.
Auf Anraten von Prof. … wandte die Beklagte sich an Prof. … an der Medizinischen Hochschule der …-Universität in A., um die außerberufliche Belastung des Versicherten durch Asbest am Wohnsitz in der Türkei aufzuklären. Prof. … teilte am 7. Mai 1990 mit, die Gegend in Südost-Anatolien, in der der Versicherte bis zu seinem 20. Lebensjahr gelebt habe, sei reich an Asbest von Typen Chrysotil und Tremolit, die keinen industriellen Wert hätten. Die Menschen in dieser Gegend verwendeten insbesondere die weiße Erde, die besonders Tremolitasbest enthalte, als Putz- bzw. Gipsmaterial an den Innen- und Außenwänden ihrer Häuser, als Dachmaterial an den Häusern und bei den Babys als Puder für den Körper. Die Fasern in der offen herumliegenden Erde verbreiteten sich durch den Wind. Infolgedessen komme die Bevölkerung schon ab der Geburt auf natürlichem Wege mit Asbest in Berührung, so daß im allgemeinen bereits im Alter von 30 bis 50 Jahren bei den betroffenen Personen Asbesterkrankungen wie Mesotheliome, pleurale Kalzifikationen, Fibrosen, Asbestosen und Lungenkrebse vermehrt aufträten. Die Asbesterkrankung des Versicherten sei auf die Einatmung des Termolitasbests am Geburtsort zurückzuführen. Es könne zutreffen, daß er auch in Deutschland beim Schneiden von Baumaterialien eine geringe Menge an Asbest eingeatmet habe, jedoch hätten mindestens 20 Jahre vergehen müssen, um seine Erkrankung mit dieser Asbestbelastung am Arbeitsplatz in Verbindung bringen zu können. Wenn bei der mineralogisch-elektronenmikroskopischen Untersuchung des Lungengewebes nachzuweisen sei, daß es sich um Tremolitasbest handele, könne definitiv davon ausgega...