Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsausschluss für Leistungsberechtigte nach dem SGB 2. Leistungsberechtigung dem Grunde nach. Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB 2. Unerheblichkeit eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem SGB 12 kommt im Bereich der Leistungen für den Lebensunterhalt im Verhältnis zum SGB 2 keine Auffangfunktion zu.

2. Die Leistungssysteme des SGB 2 und des SGB 12 stehen hinsichtlich ihrer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht in einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis. Vielmehr handelt es sich nach ihrem persönlichen Anwendungsbereich um gleichrangig und selbständig nebeneinander stehende Existenzsicherungssysteme, die sich insoweit grundsätzlich gegenseitig ausschließen (Anschluss an BSG vom 12.12.2013 - B 14 AS 90/12 R = SozR 4-4200 § 12 Nr 22 = juris RdNr 50; vgl BSG vom 19.5.2009 - B 8 SO 4/08 R = BSGE 103, 178 = SozR 4-3500 § 25 Nr 1 und vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R = BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1).

3. Erwerbsfähige und deren Angehörige, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 unterfallen, haben nach § 21 SGB 12 keinen Anspruch auf Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB 12.

4. Die Entscheidungszuständigkeit für die Frage, ob und in welchem Umfang diesem Personenkreis unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zum verfassungsrechtlich gebotenen Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 und vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua = BGBl I 2012, 1715 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2) dennoch Leistungen zustehen, bleibt folgerichtig bei dem für die Leistungen nach dem SGB 2 zuständigen Leistungsträger, solange der Antragsteller nicht nachvollziehbar ausreisepflichtig ist und damit unter den Tatbestand des § 1 Nr 5 AsylbLG fällt.

 

Normenkette

SGB II § 5 Abs. 2 S. 1, § 7 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 2; SGB XII § 27 Abs. 1, § 21 S. 1; AsylbLG § 1 Abs. 1 Nr. 5

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 24. Februar 2015 werden Ziff. 1 und 2. des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Februar 2015 aufgehoben und der Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII, hilfsweise nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren, abgelehnt. Der Antrag des Antragstellers, hilfsweise den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab Antragstellung Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., B-Straße, B-Stadt, für das Beschwerdeverfahren ab 24. Februar 2015 bewilligt.

 

Gründe

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des Sozialgesetzbuches, Zwölftes Buch (SGB XII), hilfsweise nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit vom 18. November 2014 bis 31. März 2015.

Der 1961 geborene Antragsteller ist bulgarischer Staatsangehöriger. Nach seinen eigenen Angaben in der im November 2014 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung kam er nach einem dreijährigen Aufenthalt in Belgien, wo er keine Arbeit finden konnte, im November 2011 nach Deutschland. Auch hier ist seine Arbeitsuche bisher erfolglos geblieben. Der Antragsteller ist arbeitsuchend gemeldet. Er ist ohne festen Wohnsitz, hält sich im B-Viertel in B-Stadt auf und lebt von Pfandflaschensammeln und Betteln. Kosten für einen Deutschkurs kann er nach eigenen Angaben nicht aufbringen. Das beigeladene Jobcenter B-Stadt lehnte den zunächst gestellten Antrag auf Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 30. Oktober 2014 unter Hinweis auf den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2014 zurück. Gegen die ablehnenden Bescheide des Beigeladenen ist eine Klage unter dem Az. S 32 AS 1700/14 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main anhängig. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen den Beigeladenen blieb erfolglos (Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. Dezember 2014 - Az. S 32 AS 1911/14 ER).

Am 5. Januar 2015 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB XII und dem AsylbLG. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 6. Januar 2015 ab. Hiergegen hat der Antragsteller am 8. Januar 2015 Widerspruch erhoben. Am 9. Januar 2015 hat er Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) gestellt, mit dem er vorläufige Leistungen nach dem SGB XII, hilfsweise nach dem AsylbLG, geltend machte.

Mit Beschluss vom 5. Februar 2015 hat das SG das Jobcenter B-Stadt beigeladen und die Antragsgegnerin verpflichtet, dem An...

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