Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht. Prostituierte. abhängiges Beschäftigungsverhältnis. selbständige Tätigkeit. typusbildendes Merkmal. Erkenntnisse aus Telefonüberwachung. Beweiserhebungsverbot. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Anwendung des § 7 Abs. 1 SGB IV bei der Frage der Beschäftigteneigenschaft von Prostituierten:
a) Die zu § 7 Abs. 1 SGB IV allgemein entwickelten Grundsätze werden durch das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) modifiziert. Art. 1 § 1 Satz 2 und § 3 ProstG enthalten Vorgaben für die bei der Anwendung des § 7 Abs. 1 SGB IV vorzunehmende Gewichtung der typusbildenden Merkmale.
b) Ein typusbildendes Merkmal von erheblicher Bedeutung für ein Beschäftigungsverhältnis ist die Vereinbarung bzw. die tatsächliche Handhabung des “Bereithaltens„ zu sexuellen Handlungen. Tragende Indizien ergeben sich aus einer entsprechenden Vergütungsstruktur mit einem Vergütungsanteil bereits für das Bereithalten und einer hierauf bezogenen Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
c) Art. 1 § 3 ProstG ist keine Vermutungs- oder Beweislastregelung zugunsten einer Beschäftigung.
2. Erkenntnisse, die aus einer Telefonüberwachung auf der Grundlage von § 100a StPO gewonnen wurden, dürfen mangels gesetzlicher Grundlage weder an den Träger der Rentenversicherung weitergegeben werden noch im Verwaltungsverfahren nach § 28f SGB IV oder im sozialgerichtlichen Verfahren verwertet werden. Das Beweisverwertungsverbot folgt u.a. aus Art. 10 GG und § 100b StPO.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 27. Oktober 2008 wird auf die Beschwerde der Antragsgegnerin insoweit abgeändert, als die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2007 angeordnet wird, soweit die Festsetzung von Beiträgen und Säumniszuschlägen im angefochtenen Bescheid über die personenbezogene Festsetzung bezüglich der Beschäftigten C. in Höhe von 85,90 € hinausgeht. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Der Streitwert wird auf 26.877,16 € festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine im Rahmen einer Betriebsprüfung erfolgte Festsetzung von Sozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen.
Die Antragstellerin betreibt in A. unter dem Namen “P.P.„ eine Schankwirtschaft. Nach den Feststellungen der Antragsgegnerin hielten sich im Prüfzeitraum dort regelmäßig Prostituierte, ihre Freier sowie an den Dienstleistungen eines sog. Swinger-Clubs interessierte Kundinnen und Kunden auf. Der Betrieb ist nach den Feststellungen der Antragsgegnerin in den Räumen eines Mehrfamilienhauses untergebracht, dessen Eigentümer der Lebensgefährte der Antragstellerin, D., ist. Das Gebäude ist aufgeteilt in das Vorderhaus A. Straße x und das Hinterhaus A-Straße x A. Im hinteren Bereich befinden sich die von der Antragstellerin angemieteten Räumlichkeiten des “P.P.„. Die Wohnungen im Vorderhaus wurden nach den Feststellungen der Antragsgegnerin im Prüfzeitraum vornehmlich an mit deutschen Staatsangehörigen verheiratete Frauen thailändischer Herkunft vermietet. Am 22. September 2004 fand im gesamten Anwesen eine Hausdurchsuchung aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts XY. vom 17. September 2004 statt. Ausweislich des Durchsuchungsberichts wurde zunächst die als Thekenkraft tätige E. dort angetroffen. Im weiteren Verlauf der Durchsuchung wurden drei Prostituierte osteuropäischer Herkunft z. T. mit falschen Dokumenten angetroffen, die später als F., G. und H. identifiziert werden konnten. Im Bereich der Theke wurden verschiedene handschriftliche Aufzeichnungen sichergestellt. In den Wohnungen der thailändischen Frauen wurden zum Teil Freier angetroffen; im Rahmen der staatsanwaltlichen Ermittlungen wurde davon ausgegangen, dass es sich bei dem Vorderhaus um ein Wohnungsbordell handelt.
Die Antragstellerin gab bei ihrer polizeilichen Vernehmung an, dass sie das Hinterhaus von ihrem Lebensgefährten für 5.000,-- € monatlich inklusive Nebenkosten angemietet habe und seit 2001 oder 2002 als “P.P.„ betreibe. Früher sei es ein “Verein für XXX„ gewesen. Sie habe zwei Angestellte, Frau C. sei selbstständig als Maniküre tätig und arbeite einige Stunden im “P.P.„. Schon vor fünf bis sechs Jahren habe eine I. im Club gearbeitet. Sie sei von einem Taxifahrer aus Ungarn gebracht und abgeholt worden. Vor einigen Tagen habe sie angerufen. Sie habe gefragt, ob sie mit Freundinnen nach A-Stadt kommen könne. Die Antragstellerin habe zugesagt. Sie sei davon ausgegangen, dass sie sexuelle Leistungen gegen Barzahlung habe anbieten wollen. Der Club sei attraktiver für die Kunden, wenn auch “willige„ Damen anwesend seien. Die Antragstellerin wisse nicht, wie viel die Dame...