Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Auslegung des § 2 Abs 1a SGB 5. Anspruch auf alternative Behandlungsmethode bei palliativer Standardtherapie. keine positive Empfehlung für Chemoperfusion durch Gemeinsamen Bundesausschuss. Kostenübernahme. Krebsbehandlung. Einsatz von modifizierten dendritischen Zellen sowie onkolytischer Viren

 

Orientierungssatz

1. Aus der Regelung des § 2 Abs 1a SGB 5 wird deutlich, dass für einen durch eine Krankheit vom Tode bedrohten Versicherten zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auch Leistungen zu erbringen sind, bei denen noch nicht gesichert ist, dass sie bereits dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, weil sie sich noch in einer Erprobungsphase befinden. An die Wirksamkeit solcher Leistungen sind nicht allzu hohe prognostische Anforderungen zu stellen.

2. Bietet die Schulmedizin nur palliative Behandlungsmöglichkeiten an, weil sie jede Möglichkeit einer kurativen Behandlung als aussichtslos betrachtet, kommt ein Anspruch auf eine alternative Behandlungsmethode allerdings nur dann in Betracht, wenn eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg besteht. Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt werden können, reichen nicht aus (vgl BVerfG vom 26.2.2013 - 1 BvR 2045/12 = NJW 2013, 1664).

3. Das unter der Bezeichnung Chemoperfusion bekannte Behandlungsverfahren rechnet in seiner ambulanten Anwendung nicht zu den Versorgungs- und Behandlungsansprüchen eines Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handelt sich um eine neue Behandlungsmethode, zu der der GBA keine positive Empfehlung in einer Richtlinie nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB 5 über den therapeutischen Nutzen abgegeben hat (vgl BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 6/11 R = BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25).

4. Zur Kostenübernahme einer Krebsbehandlung mittels des Einsatzes von modifizierten dendritischen Zellen, sowie onkolytischer Viren (Tumorimpfstoff).

 

Normenkette

SGB V § 2 Abs. 1a, 1 S. 3, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2-3; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. April 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Auch nach Aufhebung des Beschlusses des Senats vom 27. August 2012 (Az. L 8 KR 189/12 B ER) durch das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 26. Februar 2013, Az. 1 BvR 2045/12) und Zurückverweisung an das Hessische Landessozialgericht konnte die Beschwerde der Antragstellerin mit dem Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. April 2012 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Kosten ihrer Behandlung mit regionaler Chemotherapie unter Stop-Flow-Bedingungen mit anschließender Chemofiltration, dendritischen Zellen, Virotherapie mit Evaluation weiterer onkolytischer Viren und Artesunate zu übernehmen,

keinen Erfolg haben.

Soweit die Antragstellerin ihr Begehren wegen ihrer veränderten gesundheitlichen Situation nunmehr auf den modifizierten Behandlungsplan ihres behandelnden Arztes vom 22. März 2013 abstellt, ist dies nach § 99 Abs. 3 Nr.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig.

Unter Berücksichtigung der o. g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und des vom Senat eingeholten Berichts des behandelnden Arztes ist der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts zu bestätigen und der Antrag der Antragstellerin auch in seiner modifizierten Form nicht begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden, § 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts; für das Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86b Rdnr. 42).

Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, kann sich das angerufene Gericht nur an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, soweit die Sach- und Rechtslage bereits abschließend geklärt ist. Ist demgegenüber eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so hat das Gericht anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005, Az. 1 BvR 596/05).

Vorliegend fehlt es an einem Anordnung...

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