Entscheidungsstichwort (Thema)
Absenkung des Arbeitslosengeld II. Nichterfüllung von Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung. Nachweis von Eigenbemühungen bzw Bewerbungen. wichtiger Grund. Unfähigkeit eines türkischen Vaters zur Kinderbetreuung bzw -erziehung. Verpflichtung zum Betreuungsunterhalt. Zumutbarkeit der Arbeitsaufnahme
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Verstoß gegen die Eingliederungsvereinbarung führt nur dann zu einer Absenkung nach § 31 SGB 2, wenn es sich um eine - vom Gericht nachzuprüfende - rechtmäßige Regelung handelt.
2. Die in einer Eingliederungsvereinbarung verlangten 10 Bewerbungen pro Monat können keinesfalls als unerfüllbar hoch angesehen werden.
3. Die Behauptung, dass türkische Väter aus dem ländlichen Bereich die Betreuung von (eigenen) Kindern nicht gelernt hätten und kategorisch ablehnten, ändert nichts an der unterhaltsrechtlich bestehenden Verpflichtung eines (ehelichen) Vaters zur Erbringung des entsprechenden Betreuungsunterhaltes. (Abgrenzung zu OVG Hamburg vom 1.7.2002 - 4 Bs 190/02 = NJW 2003, 3723).
Orientierungssatz
Die Verfügbarkeit beider arbeitsloser Ehegatten bei Vorhandensein von erziehungsbedürftigen Kindern ist zu bejahen, wenn die wechselseitige Bereitschaft besteht, für den Fall der Arbeitsaufnahme des anderen Ehegatten die Erziehung der Kinder zu übernehmen, bzw allein weiterzuführen (vgl BSG vom 25.4.1991 - 11 RAr 9/90 = SozR 3-4100 § 134 Nr 7). Dies führt unter Berücksichtigung der rechtlichen Fortentwicklung und des Grundsatzes des Forderns in § 2 SGB 2 bei Ehegatten erst recht zu dem Ereignis, dass die Arbeitsaufnahme auch bei Vorhandensein von Kindern unter drei Jahren dann für jeden der Ehegatten zumutbar ist, solange der andere Ehegatte zur Betreuung zur Verfügung steht, zu der er nach dem Unterhaltsrecht verpflichtet ist.
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 26. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I.
Es geht in dem Verfahren um die dreimonatige Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 30 % gemäß § 31 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB 2).
Die 1979 geborene Antragstellerin verfügt nach ihren Angaben über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Hauswirtschafterin und ist ebenso wie ihr 1978 geborener Ehemann L. A. türkischer Nationalität; die Eheleute haben eine im April 2004 geborene Tochter H. und eine im Oktober 2005 geborene Tochter D.. Sie bezogen im Jahr 2004 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und standen seit 2005 im Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin. Mit Datum vom 6. Februar 2006 trafen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung (Gültigkeit bis zum 7. August 2006), in der sich die Antragstellerin u. a. verpflichtete, pro Monat mindestens 10 Bewerbungen (auch initiativ) vorzunehmen um sozialversicherungspflichtige Arbeitsstellen (auch befristet oder in Teilzeit), bei Zeitarbeitsfirmen, geringfügige Beschäftigungen (Mini-/Midijobs). Es wurde vereinbart, dass die Antragstellerin ihre Eigenbemühungen in geeigneter Form nachweist. In der Rechtsfolgenbelehrung wurde die Antragstellerin u. a. darauf hingewiesen, dass insbesondere bei fehlendem Nachweis von Eigenbemühungen das Arbeitslosengeld II für die Dauer von drei Monaten um 30 % abgesenkt werde. Mit Bescheid vom 3. April 2006 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin und deren drei Familienangehörigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB 2 für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2006 in unterschiedlicher Höhe (zwischen 1.078 und 1.264 € monatlich). In den Vermerken der Antragsgegnerin (BewA) vom 27. April und vom 5. Mai 2006 wurde jeweils notiert, dass die Antragstellerin “Nachweise Eigenbemühungen„ vorgelegt habe. Am Ende einer handschriftlichen Aufstellung (Zugang bei der Antragsgegnerin am 7. Juli 2006) der Eigenbemühungen des Ehemannes der Antragstellerin hat diese vermerkt, dass sie “diesen Monat keine Bewerbungen geschrieben„ habe. Mit Bescheid vom 21. Juni 2006 hat die Antragsgegnerin unter entsprechender Aufhebung des Bewilligungsbescheides den Anteil des Arbeitslosengeldes II der Antragstellerin um 93 € monatlich für die Zeit vom 1. Juli bis zum 30. September 2006 gemindert. Mit am 27. Juni 2006 bei dem Sozialgericht zugegangenen Schreiben hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem sinngemäßen Ziel, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 21. Juni 2006 anzuordnen. Sie hat vorgetragen, es gehe darum, dass sie im Mai und Juni 2006 keine Bewerbungen geschrieben habe. Nach ihrer Auffassung seien derartige Bewerbungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt von vornherein sinnlos, da sie aktuell im 6. Monat schwanger sei und ihre beiden minderjährigen Kinder zu versorgen habe. Ihr Mann habe ihr gegenüber für den Fall ihrer Beschäftigungsaufnahme eine Versorgung der Kinder kategorisch abgelehnt, da er sich insoweit wohl überfordert sehe. Aus dem ländlichen türkischen Kul...