Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenentscheidung. Ermessen. Untätigkeitsklage. Bekanntgabe. Bevollmächtigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat die Behörde einem Widerspruch mit einem an den Betroffenen direkt zugesandten Bescheid abgeholfen, teilt sie diesen Umstand aber trotz wiederholter Sachstandsanfragen nicht dem Bevollmächtigten des Betroffenen mit, so hat sie die Kosten für eine vom Bevollmächtigten erhobene Untätigkeitsklage zu tragen.

 

Normenkette

SGG §§ 88, 193 Abs. 1; SGB X § 13 Abs. 3 S. 3, § 37 Abs. 1 S. 2

 

Gründe

Die bei dem Sozialgericht am 13. Januar 2006 eingegangene Beschwerde des Beklagten mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 8. Dezember 2005 aufzuheben und zu entscheiden, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben,

hat keinen Erfolg. Die an sich statthafte (§ 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) sowie frist- und formgerecht eingelegte (§ 173 SGG) Beschwerde, der das Sozialgericht am 17. Januar 2006 nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet. Der Beklagte bleibt verpflichtet, der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Verfahren S 18 SO 100/05 bei dem Sozialgericht Gießen zu erstatten.

Das Gericht entscheidet gemäß § 193 Abs. 1 SGG auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders (als durch Urteil) beendet wird. - Diese Verfahrenskonstellation war hier gegeben; denn die Untätigkeitsklage bei dem Sozialgericht Gießen unter dem Aktenzeichen S 18 SO 100/05 endete durch die Erledigungserklärung der Klägerin vom 15. August 2005. Mit demselben Schreiben stellte die Klägerin ihren Kostenantrag.

Die danach von dem Sozialgericht zu treffende Entscheidung über die Kostentragungspflicht bei unstreitiger Erledigung hat allgemein auf der Grundlage billigen Ermessens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu erfolgen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage, § 193 Rdnr. 13). Diese Ermessensentscheidung ist vom Beschwerdegericht in vollem Umfang nachprüfbar (vgl. Landessozialgericht - LSG - Rheinland-Pfalz vom 16. April 1998 - L 3 SB 84/97; Meyer-Ladewig, wie vor, Rdnr. 17). Für die Kostentragungspflicht nach unstreitig erledigter Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG ist die Klagezulässigkeit eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung (siehe Hessisches LSG - HLSG - vom 27. Dezember 2005 - L 9 B 176/05). Die Kostentragungspflicht der untätigen Behörde ist nach den Umständen der Untätigkeit, nicht aber nach den Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu beurteilen (LSG Baden-Württemberg vom 25. September 2003 - L 11 KR 2720/03 AK-B). So ist erheblich, ob der Antragsteller oder Widerspruchsführer mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (Rechtsgedanke aus § 161 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung; LSG Sachsen vom 28. September 2004 - L 2 B 212/03 U). Der Kooperation der Beteiligten im Vorfeld der Untätigkeitsklage kann insoweit Bedeutung zukommen (HLSG vom 22. Februar 2006 - L 9 B 14/06 SO: Nicht-Reaktion der Behörde auf die Anfrage des Widerspruchsführers). Das Veranlassungsprinzip (Meyer-Ladewig, wie vor, Rdnr. 12b) ist zu beachten.

Der Beklagte hat nach den Umständen durch falsche Sachbehandlung Anlass für die Erhebung der Untätigkeitsklage gegeben. Die am 24. Juni 2005 bei dem Sozialgericht eingegangene Untätigkeitsklage war im Hinblick auf die Sperrfrist gemäß § 88 Satz 2 SGG zulässig; denn der Widerspruch der Klägerin vom 20. Dezember 2004 gegen den Bescheid des Beklagten vom 25. November 2004 war zu diesem Zeitpunkt seit mehr als drei Monaten nicht förmlich beschieden (so der Beklagte noch mit Schriftsatz vom 19. Juli 2005). Das Vorliegen eines diesbezüglich zureichenden Grundes für die Untätigkeit der Behörde in Bezug auf eine Bescheidung des Widerspruchs, der bei einer vorübergehenden besonderen Belastung der Behörde etwa aufgrund einer Gesetzesänderung durchaus in Betracht kommt (HLSG vom 27. Dezember 2005 - L 9 B 176/05 SO), kann hier für die Entscheidungsfindung dahinstehen; denn diese Beurteilungsgrundlage ist jedenfalls nicht auf eine fehlerhafte Sachbehandlung im Übrigen zu erstrecken.

Hier hatte der Beklagte nach Aktenlage durch Bescheid vom 14. Februar 2005 Leistungen für die Klägerin bewilligt, die durch den Ausgangsbescheid des Beklagten vom 25. November 2004 abgelehnt worden waren, weshalb der Bescheid vom 14. Februar 2005 gemäß § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens (nach Widerspruch vom 20. Dezember 2004 gegen den Bescheid vom 25. November 2004) wurde. Der Bescheid vom 14. Februar 2005 wurde unmittelbar der Klägerin bekannt gegeben, nachdem sich für diese am 20. Dezember 2004 ihr anwaltlicher Bevollmächtigter zum Verfahren gemeldet hatte. Unabhängig von der Frage einer wirksamen Bekanntgabe des Verwaltungsakts an die Betroffene, wenn für diese ein Bevollmächtigter bestellt ist, dessen Wahl als Bekanntgabe-Adressaten § 37 Absatz 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)

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