Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. Einreise zum Zweck des Leistungsbezuges. Änderungsbescheid. hinreichende Bestimmtheit. Rechtsgrundlage. Höhe der unabweisbar gebotenen Leistungen bei schutzbedürftigen Personen iS des EU-Rechts. Vollzugsfolgenbeseitigung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Leistungsabsenkung ist eine hinreichende Bestimmtheit nur gegeben, wenn grundsätzlich der genaue Betrag festgesetzt wird, um den die konkret zuerkannte Leistung abgesenkt wird, wobei eine prozentuale Angabe oder eine Formulierung, die kleinere Berechnungen notwendig macht, unschädlich ist. Die Wiedergabe des Wortlauts von § 1a Abs 1 AsylbLG ist nicht hinreichend.
2. Wurde bei der Leistungsgewährung nicht von Anfang an § 1a Abs 1 AsylbLG beachtet, so ist der Änderungsbescheid an § 45 SGB X zu messen.
3. Bei der Bestimmung der Höhe der Leistungsabsenkung nach § 1a AsylbLG ist ggf den Anforderungen aus Art 14 der Richtlinie 2008/115/EG (juris: EGRL 115/2008) des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16.12.2008 (ABl 2008, L 348, S 98) zugunsten besonders schutzbedürftiger Personen Rechnung zu tragen (hier: hinsichtlich des Umfangs offen lassend).
4. Zum Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 21. Februar 2019 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2018 angeordnet.
Zur Aufhebung der Vollziehung hat der Antragsgegner der Antragstellerin vorläufig Leistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf in Höhe von 405 € nachzuzahlen.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., B-Stadt, ohne Pflicht zur Ratenzahlung gewährt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Leistungsabsenkung nach § 1a Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), im Beschwerdeverfahren zudem um die Vollzugsfolgenbeseitigung.
Die 1974 geborene Antragstellerin ist somalische Staatsangehörige und reiste im Jahr 2013 nach Schweden ein. Ihr dort gestellter Asylantrag wurde abgelehnt. Im Jahr 2018 reiste sie nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der als unzulässig abgelehnt wurde. Sie wurde nach Schweden überstellt und mit einem Wiedereinreiseverbot belegt. Mit einem ihrer Kinder, ihrem Sohn C., der u.a. nach unwidersprochenen Angaben der Antragstellerin unter einer schweren spastischen Lähmung mit Bewegungsstörung (Zerebralparese ICD G80.3), einer statomotorischen und psychomentalen Entwicklungsstörung (IDC F89), Epilepsie (ICD G40.1), Mikrozephalie bei Makrosomie sowie Inkontinenz ( ICD R15, R32) leidet, kehrte sie Anfang September 2018 erneut in die Bundesrepublik zurück und stellte einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2018 wurde der Antrag abgelehnt, das Vorliegen von Abschiebungshindernissen verneint und die Abschiebung nach Schweden angeordnet. Ein hiergegen gerichteter Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Gießen wurde mit Beschluss vom 28. Februar 2019 abgelehnt. Dagegen haben die Antragstellerin und ihr Sohn Verfassungsbeschwerde erhoben, über die noch nicht entschieden wurde.
Mit Zuweisungsbescheid vom 21. März 2019 wurde die Antragstellerin der Stadt A-Stadt zugewiesen. An diesem Tag verließ die Antragstellerin auch die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen.
Bereits mit Bescheid vom 4. September 2018 wurden der Antragstellerin und ihrem Sohn Leistungen nach § 3 AsylbLG unbefristet gewährt.
Mit Bescheid vom 1. November 2018 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 4. September 2018 auf und gewährte „ab sofort nur noch die in Ihrem konkreten Einzelfall nach den Umständen unabweisbar gebotenen Leistungen gemäß §§ 3, 4 und 6 AsylbLG. (…) Dies gilt zunächst für die Dauer von 6 Monaten.“
Die Antragstellerin erhielt daraufhin den Barbetrag in Höhe von 135 € nicht mehr ausgezahlt und kein ÖPNV-Ticket ausgehändigt. Seit März 2019 erhält die Antragstellerin Leistungen nach dem AsylbLG durch die Stadt A-Stadt in Höhe von 176 €.
Gegen den Bescheid vom 1. November 2018 legte die Antragstellerin über ihre Prozessbevollmächtigte Widerspruch ein. Aufgrund der Asylantragstellung sei schon der Anwendungsbereich des § 1a Abs. 1 AsylbLG nicht eröffnet. Zudem sei die Wiedereinreise zur Durchführung eines Asylverfahrens erfolgt, weiterhin sei die Antragstellerin in Schweden mehrfach aufgefordert worden, eine freiwillige Au...