Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auch bei abgeleitetem Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB 2. Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12. Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. Ermessensreduzierung auf Null bei mehr als sechsmonatigem Aufenthalt
Leitsatz (amtlich)
1. Das aus Art 10 (VO) 492/2011 (juris: EUV 492/2011) abgeleitete Aufenthaltsrecht des Kindes eines Unionsbürgers, der in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt ist oder war, zum Schulbesuch ist kein weiteres Aufenthaltsrecht iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II und steht dem Leistungsausschluss daher nicht entgegen (Anschluss an LSG Mainz vom 11.8.2016 - L 3 AS 376/16 B ER).
2. Eine regelhafte Ermessensreduzierung auf Null nach Ablauf eines sechsmonatigen Aufenthalts im Rahmen des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII findet nicht statt (Anschluss an LSG Darmstadt vom 29.9.2016 - L 9 AS 427/16 B ER; entgegen BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 48, vom 20.1.2016 - B 14 AS 15/15 R, vom 17.2.2016 - B 4 AS 24/14 R und vom 17.03.2016 - B 4 AS 32/15 R).
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. Juni 2016 aufgehoben und der Antrag abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Gewährung von vorläufigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der 1981 geborene Antragsteller zu 1) und die 1984 geborene Antragstellerin zu 2) sind Eheleute und die Eltern der zwischen den Jahren 2000 und 2006 geborenen Antragstellern zu 3) bis 5). Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige und halten sich nach eigenen Angaben seit etwa Mitte 2014 in Deutschland auf, zunächst bei Bekannten in der Nähe von J-Stadt, seit Anfang 2015 in A-Stadt, wobei der Verlust ihres Freizügigkeitsrechts nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) bislang nicht festgestellt worden ist.
Aufgrund des Arbeitsvertrages vom 2. April 2015 stand der Antragsteller zu 1) seit 7. April 2015 bei der Firma G. GmbH Personalmanagement als Hilfsarbeiter in einer Vollzeitbeschäftigung bei einem Stundenlohn von 8,80 € brutto. Dieses Beschäftigungsverhältnis kündigte die Arbeitgeberin ausweislich der den Verwaltungsakten beigefügten schriftlichen Erklärung vom 15. Februar 2016 fristlos zum 16. Februar 2016 (lediglich ersatzweise fristgerecht zum 15. März 2016). In dem Kündigungsschreiben heißt es u.a., die Arbeitgeberin habe feststellen müssen, dass der Antragsteller zu 1) trotz mehrfacher Abmahnungen seit 8. Februar 2016 nicht mehr am Arbeitsplatz erschienen sei und somit unentschuldigt gefehlt habe.
Auf den Leistungsantrag der Antragsteller vom 27. Mai 2015 hatte der Antragsgegner den Antragstellern durch Bescheid vom 24. November 2015 in Gestalt des Bescheides vom 19. Januar 2016 ergänzende SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1. Mai 2015 bis 30. April 2016 bewilligt. Im Rahmen ihrer Antragstellung hatten die Antragsteller bei dem Beklagten eine Teilnahmebestätigung/Schulbescheinigung des Fördervereins H. e.V. betreffend den Antragsteller zu 3) vom 23. November 2015 vorgelegt. Aus dieser ergibt sich, dass Letzterer seit dem 17. August 2015 an dem Berufsbildungsprojekt für H-Jugendliche teilnehme, welches von der Stadt A-Stadt sowie dem Antragsgegner aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und Spenden der Stiftung K. der L. AG finanziert werde. Die Teilnahme beinhalte eine schulische Begleitung u.a. mit dem Angebot des Hauptschulabschlusses. Angefügt ist ein "Wochenplan" betreffend den Schulbesuch montags bis mittwochs von 9:00 Uhr bis 15:30 Uhr bzw. donnerstags und freitags betreffend ein jeweils 6-stündiges Praktikum.
Des Weiteren ergibt sich aus der Verwaltungsakte, dass der Antragsteller zu 4) ausweislich der Schulbescheinigung die M.schule in A-Stadt regelmäßig besuche und dort ebenso regelmäßig an dem dort angebotenen gemeinschaftlichen Mittagessen teilnehme. Diesbezüglich hat der Antragsgegner dem Antragsteller zu 4) für Mittagsverpflegung als Bildungs- und Teilhabeleistung für den Zeitraum vom 1. November 2015 bis 30. April 2016 monatlich 30 € gewährt sowie gleichfalls eine Leistung für laufenden Schulbedarf.
Am 6. April 2016 beantragten die Antragsteller die Weiterbewilligung der SGB II-Leistungen über den 30. April 2016 hinaus. Auf Ersuchen des Antragsgegners stellte die Agentur für Arbeit Frankfurt am Main unter dem 13. April 2016 fest, dass die Arbeitgeberkündigung des Antragstellers zu 1) aufgrund vertragswidrigen Verhaltens erfolgt sei und deshalb eine unfreiwillige Arbeitslosigkeit im Hinblick auf die letzte Beschäftigung des Antr...