Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruchsvoraussetzung für Berufskrankheit
Leitsatz (amtlich)
Die in Nr. 41 der 7. BKVO enthaltene Anspruchsvoraussetzung „Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit” ist rechtswidrig und daher von der Rechtsprechung nicht zu beachten.
Normenkette
RVO § 551; BKVO 7.; GG Art. 3 Abs. 1, 80
Verfahrensgang
SG Kassel (Urteil vom 17.02.1972; Aktenzeichen S 3/UG - 263/70) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Februar 1972 und der Bescheid der Beklagten vom 24. September 1970 aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger Verletztenrente wegen Bronchialasthma nach Nr. 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Soweit der Kläger eine Herzerkrankung als Folge des Bronchialasthmas geltend macht, wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Entschädigung einer Berufskrankheit (Bronchialasthma i.S. der Nr. 41 der Anl. 1 zur 7. Berufskrankheitenverordnung – BKVO).
Am 27. Januar 1969 erstattete der Badearzt Dr. med. W., B., eine ärztliche Anzeige wegen asthmatischer Bronchitis als Berufskrankheit, an der der Kläger erstmalig im Juli 1968 arbeitsunfähig erkrankt sei. Mit Schreiben vom 13. Mai 1969 zeigten die C. Werke, bei denen der Kläger beschäftigt war, der Beklagten an, der Kläger leide an einer auf die Einwirkung von Desmodur zurückzuführenden allergischen Bronchitis.
Der im Jahre 1924 geborene Kläger besuchte die Oberschule bis zur Oberprima, um sodann bei der Marine die Offizierslaufbahn einzuschlagen (zuletzt Oberfähnrich). Nach dem Krieg war er zunächst dienstverpflichtet im Untertagebergbau und sodann als Ziegeleiarbeiter, Dreher, Schlosser, Radiotechniker, Volontär in einer Gummifabrik, Bierverleger in einem Einzelhandelsgeschäft und als Reisender für Bäckereibedarf tätig. Am 1. März 1962 trat er in die Firma C. Werke GmbH, B., ein, war bis zum 15. April in der Abteilung Arbeitsvorbereitung und anschließend bis Mai 1963 als Leiter des Moltopren-Blocklagers in W. beschäftigt. Hier kam er mit Desmodur-T-Dämpfen der frischgeschäumten Blöcke in Berührung. Nach einem Herzinfarkt war er bis Ende des Jahres 1963 arbeitsunfähig erkrankt, anschließend als Abteilungsleiter der Bauplattenfertigung im Werk O. eingesetzt, ab 1. Dezember 1965 wieder in der Arbeitsvorbereitung, bis Mai 1966 in einem Büro unmittelbar über der Moltopren-Verschäumungsanlage, sodann in dem Werk B. und in der Arbeitsvorbereitung für die Latexfertigung in einem Büro ca. 200 m von der Moltopren-Fertigung entfernt tätig. Durch ungünstige Windverhältnisse kam es erneut zu Beschwerden von Seiten des Bronchialasthmas, so daß er wieder ins Werk B. versetzt werden mußte. Am 26. Dezember 1968 erlitt er einen Myocard-Reinfarkt und wurde bis zum 7. Februar 1966 im Stadtkrankenhaus B. stationär behandelt. Er schied im beiderseitigen Einvernehmen zum 30. Juni 1969 aus der Firma C. aus.
In einem von der Beklagten eingeholten innerfachärztlichen Gutachten vom 18. November 1969 kamen die Dres. F. und S. (Allergie-Forschungsinstitut und Asthmaklinik Bad L.) zu der Diagnose eines primär-chemisch irritativen Bronchialasthmas, das auf die betriebliche Tätigkeit des Klägers bei den C.-Werken zurückzuführen sei. Wegen dieser Erkrankung sei er gezwungen, seine bisherige Tätigkeit in diesen Werken aufzugeben. Die hierdurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 30 v.H.
Nach einem weiterhin von der Beklagten eingeholten Gutachten des Prof. Dr. med. H. und Dr. med. P. (Medizinische Klinik II des Stadtkrankenhauses in K.) vom 8. Juni 1970 ist eine unmittelbare toxische Schädigung des Herzens oder der Herzkranzgefäße durch die Desmodureinwirkung unwahrscheinlich. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem berufsbedingten Bronchialasthma und dem Herzleiden bestehe nicht.
Entgegen dem Vorschlag des Internisten Dr. med. R. von der Dienststelle des Landesgewerbearztes im Hessischen Sozialministerium in Wiesbaden vom 10. September 1970, der eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit nach Nr. 41 der Anl. 1 zur 7. BKVO vom 20. Juni 1968 bejahte, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 24. September 1970 die Gewährung einer Entschädigung ab. Der Kläger leide zwar an einer durch Einflüsse am Arbeitsplatz verursachten Bereitschaft zu Bronchialasthma-Anfällen nach Einwirkung von Desmodur- und Desmophenabdünstungen, denen er im Werksbereich der C. Werke ausgesetzt gewesen sei. Unabhängig hiervon bestünden Folgen wiederholter Herzinfarkte. Das Bronchialasthma habe jedoch nicht die Aufgabe der Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter und REFA-Mann erfordert. Dieser Beruf könne vielmehr außerhalb der Schaumstoff-Industrie ungeachtet der Asthmabereitschaft überall gefahrlos ausgeübt werden.
Gegen den am 25. September 1970 zur Post aufgelieferten Bescheid hat der Kläger am 19. Oktober 1970 bei dem Sozialgeri...