Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. betrieblich veranlasste Impfung. haftungsbegründende Kausalität. Gesundheitsschaden. Multiple Sklerose. Krankenpflegerin. Berufskrankheit. Wahlfeststellung. Wesentliche Bedingung. Sachverständigengutachten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird als Versicherungsfall eine Erkrankung aufgrund eines konkreten Impfvorgangs oder iS einer Wahlfeststellung aufgrund mehrerer einzelner konkreter Impfvorgänge geltend gemacht, beurteilt sich der Sachverhalt nach den Grundsätzen des Arbeitsunfalls, nicht nach denjenigen der Berufskrankheit.

2. Die auf Anordnung des Arbeitgebers erfolgenden Impfungen einer Krankenpflegerin stehen im inneren Zusammenhang mit deren versicherter Tätigkeit.

3. Eine Multiple Sklerose als Gesundheitsschaden ist nur dann als Unfallfolge anerkennungsfähig, wenn die positive Feststellung dieser Krankheit nach den dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechenden Diagnosekriterien gesichert ist. Ist dies nicht der Fall, kommt es auf die Kausalität nicht mehr an.

 

Normenkette

SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 7, 8 Abs. 1, §§ 9, 56 Abs. 1; SGG § 109

 

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 18. Januar 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 25. August 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2004 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, als Folge der Impfungen vom 17. August 2000 sowie 13. September 2000 und 12. Februar 2001 als kurzzeitige Impfreaktion von jeweils 14 Tagen in Form von Gangstörungen, Schwindel, Erschöpfung anzuerkennen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung und Entschädigung von Schutzimpfungen gegen Hepatitis A und Hepatitis B als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Klägerin ist ausgebildete Krankenpflegehelferin und war bis 2002 im Behindertenbereich in den Anstalten PQ. als Krankenpflegerin im Umfang einer Vollzeitbeschäftigung mit der Betreuung von körperbehinderten Kindern beschäftigt. Als solche ist sie bei der Beklagten, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, versichert. Auf Veranlassung ihres Arbeitgebers ließ sie sich am 17. August 2000, am 13. September 2000 sowie am 12. Februar 2001 durch Herrn Dr. S. S. in C-Stadt-G. mit dem Impfstoff Twinrix Adulto gegen Hepatitis A und B impfen. Am 25. Juli 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung und Entschädigung bestimmter Gesundheitsbeeinträchtigungen als Anerkennung einer Berufskrankheit (BK). Hierzu teilte sie mit, dass bei ihr der Verdacht auf multiple Sklerose erhoben worden sei und 1999 die ersten Probleme in Form von Schwindel aufgetreten seien. Nach den erfolgten Impfungen hätten sich die Symptome in Form von Gangstörung, Müdigkeit, Gleichgewichtsstörungen usw. heftig verstärkt. Zunächst habe sie einen Zusammenhang zwischen der Impfung und den Beschwerden wegen ihrer Geringfügigkeit nicht gesehen und sei erst durch Literaturhinweise ihres behandelnden Arztes Dr. PW. (Neurologe) auf die Möglichkeit einer Verbindung gestoßen.

Die Beklagte zog verschiedene ärztliche Behandlungs- und Befundberichte, ein Vorerkrankungsverzeichnis der DAK vom 11. September 2003, medizinische Unterlagen aus dem Verfahren zum Feststellungsantrag eines Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrecht beim Versorgungsamt sowie die Rentenakte der Landesversicherungsanstalt Hessen bei. Des Weiteren hörte die Beklagte die Klägerin am 21. August 2003 an. Allerdings habe sie bereits vor dem 17. August 2000 ähnliche Beschwerden in Form von Gleichgewichtsstörungen gehabt. Des Weiteren erklärte der Arzt, der die Impfungen verabreicht hatte, Allgemein- und Arbeitsmediziner Dr. S., am 10. September 2003, dass die Klägerin nach der am 17. August 2000 durchgeführten Hepatitis B-Impfung ihm gegenüber keine Nebenwirkungen nach der Impfung angegeben habe.

Ein Bericht des Arztes für Orthopädie Dr. WW. vom 13. Juli 2001 ergab, dass die Klägerin seit dem Vortag über heftige Beschwerden, Gleichgewichtsstörungen und Schwindelanfälle klage. Der Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Arzt Dr. LM. diagnostizierte im Juli 2001 bei der Klägerin einen unklaren Schwindel sowie eine akute periphere Vestibularisläsion. Die Ärzte für Radiologie Dres. XY. führten zu einem MRT des Schädels am 10. August 2001 aus, dass die multiplen KM-inerten, wenige mm großen Demyelinisierungszonen des subcorticalen Marklagers beider Großhirnhemisphären, die sich KM-inert verhalten würden, am ehesten vasculärer Genese seien. Bei Persistenz der Gangstörung werde eine Liquordiagnostik angeraten. Nervenarzt PK. berichtete unter dem 3. August 2001, dass sich die Klägerin bei ihm wegen seit eineinhalb Jahren in unregelmäßigen Abständen und mit unregelmäßiger Dauer bestehenden Missempfindungen im Kopf im Sinne von schwindelartigen Erscheinungen vorgestellt habe und diagnostizierte eine beka...

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