Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitrag. Nachforderung. Sozialversicherung. Student. Beschäftigung. Verjährung. Verwirkung. Betriebsprüfung. Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei einer Beschäftigung während des Semesters ist im Wesentlichen darauf abzustellen, ob die Beschäftigung Zeit und Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nimmt, was zu bejahen ist, sofern der zeitliche Umfang wöchentlich 20 Stunden übersteigt.

2. Verwirkung setzt ein konkretes Verhalten des Gläubigers voraus, das bei dem Schuldner die berechtigte Erwartung erweckt hat, die Forderung bestehe nicht oder werde nicht mehr geltend gemacht. Schlichtes Unterlassen der Geltendmachung einer bestehenden Forderung durch den Gläubiger kann ein schutzwürdiges Vertrauen bei dem Schuldner nur dann begründen, wenn der Schuldner die Untätigkeit des Gläubigers nach den Umständen als bewusst und planmäßig betrachten darf.

3. Betriebsprüfungen bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder “Entlastung” zu erteilen.

 

Normenkette

SGB I § 14; SGB IV § 25 Abs. 1; SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 3; SGB VI § 5 Abs. 3; AFG § 169b Nr. 2; SGB XI § 1 Abs. 2

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 21. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 21. Oktober 2003 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Rechtmäßigkeit einer Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 53.653,04 DM für die Zeit von 1993 bis 1996.

Die Klägerin, ein Unternehmen zur Metallveredelung, beschäftigte im Zeitraum 1993 bis 1996 aushilfsweise polnische Studenten. Die Beschäftigung wurde nicht nur in der vorlesungsfreien Zeit ausgeübt und überschritt regelmäßig die Dauer von zwei Monaten bzw. die wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden.

Anlässlich einer Betriebsprüfung durch die Beigeladene zu 2. am 13. September 1994 wurden Meldedifferenzen festgestellt. Nicht beanstandet wurde jedoch, dass für zwei polnische Studenten im Jahre 1993 keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden waren. Mit Schreiben vom 22. September 1994 teilte die Beigeladene zu 1. mit, dass aufgrund der durchgeführten Betriebsprüfung für den Zeitraum von Januar 1991 bis Dezember 1993 der Abgleich der nachgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge mit den bescheinigten Entgelten in den Versicherungsnachweisen für 1992 und 1993 als abgestimmt gelte.

Am 15. Februar 1996 führte die Beklagte für die Zeit ab 1. Dezember 1991 eine erneute Betriebsprüfung durch. Eine abschließende Beurteilung erfolgte nicht, vielmehr fand am 5. Februar 1997 für die Zeit vom 1. Dezember 1992 bis 31. Dezember 1995 eine weitere Betriebsprüfung statt. Mit Bescheid vom 22. Mai 1997 stellte die Beklagte für die von der Klägerin beschäftigten Studenten Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie ab 1. Januar 1995 auch in der Pflegeversicherung fest und forderte Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 53.653,04 DM nach. Der Widerspruch der Klägerin vom 16. Juni 1997 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 1999 zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte u. a. aus, aus der Tatsache, dass in der Vergangenheit durchgeführte Betriebsprüfungen keine Beanstandungen ergeben hätten, könne grundsätzlich kein Vertrauensschutz abgeleitet werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 21. September 1999 bei dem Sozialgericht Wiesbaden Klage erhoben. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, dass sie sich wegen der Versicherungspflicht beziehungsweise Versicherungsfreiheit der polnischen Studenten bei der AOK Hessen erkundigt habe. Die von dort erteilte falsche oder unvollständige Auskunft könne ihr nicht angelastet werden; insoweit bestehe Vertrauensschutz.

Mit Beschluss vom 21. Dezember 2000 hat das Sozialgericht die AOK Hessen und die LVA Hessen zum Verfahren beigeladen.

Mit Urteil vom 21. Oktober 2003 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten insoweit aufgehoben als Sozialversicherungsbeiträge für das Jahr 1993 nachgefordert worden sind und hat im Übrigen die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Für die Jahre 1994 bis 1996 habe die Beklagte zu Recht die Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert. Aufgrund des Umfanges der Beschäftigungsverhältnisse seien die Studenten ihrem Erscheinungsbild nach als Arbeitnehmer anzusehen, so dass ihr Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich Kraft Gesetzes versicherungspflichtig gewesen sei. Die Ansprüche seien auch weder verjährt noch verwirkt gewesen. Für die Verwirkung von Beitragsansprüchen sei allein auf das Verhalten der Einzugsstelle abzustellen. Eine trotz Betriebsprüfung unterbliebene Beanstandung der unterlassenen Beitragszahlungen rechtfertige nicht die Erwartungen des Schuldners, dass auf das Recht zur Geltendmachung ...

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