Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit des § 48 SGB 10. anfängliche Rechtswidrigkeit. Berücksichtigung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit bei Bezug einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. einkommensteuerrechtliches Jahresprinzip. Feststellbarkeit des Gewinns. Hinzuverdienstgrenze. Gewerbebetrieb. Unternehmer. Zuordnung der Einkünfte zu einer bestimmten Person. Bestimmtheit. Wesentliche Änderung. Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses. Vertrauensschutz. Grobe Fahrlässigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 48 SGB 10 ist für bereits anfänglich rechtswidrige Verwaltungsakte nur dann anwendbar, wenn sich die nachträgliche Änderung der Verhältnisse auf Umstände bezieht, auf denen die anfängliche Rechtswidrigkeit nicht beruht.

2. Aufgrund des einkommensteuerrechtlichen Jahresprinzips kann Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nicht vor Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres festgestellt werden und gilt deshalb auch nicht vorher als iS des § 96a SGB 6 erzielt (Anschluss an BSG vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R = BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10). Eine Änderung der Verhältnisse iS des § 48 SGB 10 tritt mit diesem Zeitpunkt ein.

 

Orientierungssatz

1. Zur Berücksichtigung des Einkommens aus einem Gewerbebetrieb nach § 96a SGB 6, wenn der Rentenbezieher zwar angibt, dass er im Betrieb nicht aktiv tätig sei, ihm jedoch im Einkommensteuerbescheid der Gewinn zugeordnet wird.

2. Zum Leitsatz 1 vgl BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R = BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12 und vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R = juris RdNr 18; entgegen BSG vom 17.6.2008 - B 8 AY 9/07 R = juris RdNr 13.

 

Normenkette

SGB VI § 96a Abs. 1a; EStG § 15 Abs. 2; SGB IV § 15; SGB X § 20 Abs. 1-2, § 33 Abs. 1, § 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3, § 48 Abs. 1

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten vom 7. März 2012 gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 8. September 2011 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die teilweise Rücknahme seiner Erwerbsminderungsrente wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen nach § 96a des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI).

Nach einem vorangegangenen Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation vom 26. Juli 2001 beantragte der Kläger am 13. Dezember 2001 eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei der Beklagten. In dem Antragsformular beantwortete der Kläger die Frage, ob er in einem Beschäftigungsverhältnis stehe, durch Ankreuzen mit “ja„ und gab an, dass die Beschäftigung ab Rentenbeginn ende. Gleichzeitig kreuzte er an, nicht selbstständig tätig zu sein. In der Anlage zu diesem Antrag gab der Kläger unter dem Punkt “Beschäftigungsübersicht„ u.a. an, seit 1996 bis laufend als Kaufmann, Lagerverwalter, Packer etc. beschäftigt zu sein und im Zeitraum davor von 1984 bis 1996 selbstständig tätig gewesen zu sein.

Dr. C. vom Sozialmedizinischen Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK) teilte der Kläger anlässlich einer Begutachtung am 14. November 2001 mit, seit dem 13. Oktober 2000 als Teilhaber eines Haushaltswarenbedarfsgeschäfts selbstständig tätig zu sein. Bei einer weiteren Begutachtung am 16. Juli 2001 (Gutachten vom 17. Juli 2001) beim MDK wurde als Anforderungsprofil “Geschäftsführer einer Firma, an der der Versicherte selbst beteiligt ist. (…) Die Ehefrau habe eine Eisdiele.„ aufgeführt. Beide Gutachten legte der MDK der Beklagten auf deren Anforderung am 17. Januar 2002 vor.

Im durch die Beklagte veranlassten Gutachten vom 18. Februar 2002 gab der Kläger gegenüber dem Gutachter Dr. med. D. an, zuletzt als Kaufmann im Lagerbereich tätig gewesen zu sein.

Mit Rentenbescheid vom 15. Mai 2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2001 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres in Höhe von 158 € monatlich. Dabei ging sie von einem Rentenantrag vom 26. Juli 2001 aus. Der Bescheid enthielt unter der Überschrift “Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten„ auf der dritten Seite folgenden Passus:

“Liegt bei Aufnahme bzw. Ausübung einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit weiterhin teilweise Erwerbsminderung vor, wird die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht oder in verminderter Höhe geleistet, sofern durch das erzielte Einkommen (Bruttoverdienst aus Beschäftigung bzw. Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit) die für diese Rente maßgebende Hinzuverdienstgrenze überschritten wird. Die Hinzuverdienstgrenze bei Beginn der laufenden Zahlung beträgt bei Ausübung einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit in einem der alten Bundesländer oder im Ausland monatlich 802,95 € (…).

Die Berechnung der Hinzuverdienstgrenzen ergibt sich aus Anlage 19.„

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 21. Mai 2002 gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt hatte, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Rentenbescheid vom 28. Juni 2002 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2001, befristet bis zum 30. Jun...

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