Entscheidungsstichwort (Thema)

Medizinisches Versorgungszentrum. Wirksamkeit einer Nebenbestimmung bei einer Ermessensentscheidung der Zulassungsgremien über die Vorlage von selbstschuldnerischen Bürgschaften durch die Gesellschafter. Ermessen

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Verpflichtung der Mitglieder eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) durch den Zulassungsausschuss für Ärzte zur Vorlage einer selbstschuldnerischen Bürgschaftserklärung für Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigung gegenüber dem MVZ aus dessen vertragsärztlicher Tätigkeit handelt es sich um eine Auflage iS von § 32 Abs 2 Nr 4 SGB 10.

2. Verwaltungsakte, auf die kein Rechtsanspruch besteht, deren Erlass vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht, können mit Nebenbestimmungen versehen werden. Das Ermessen ist sowohl in Bezug auf die Entscheidung, ob eine Verbindung der selbständigen Nebenbestimmung mit dem Hauptverwaltungsakt erfolgen soll, als auch in Bezug auf Art und Inhalt der Nebenbestimmung auszuüben.

3. Eine Nebenbestimmung darf dem Zweck des Verwaltungsaktes nicht zuwiderlaufen. An dem erforderlichen inneren Zusammenhang fehlt es, wenn die Vorlage der Bürgschaftserklärung für die Übernahme eines weiteren Vertragsarztsitzes verlangt wird, weil eine solche nach Maßgabe des § 95 Abs 2 S 6 SGB 5 lediglich Voraussetzung für die Zulassung eines MVZ in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts ist.

4. Ist die Zulassung als Hauptverwaltungsakt bereits bestandskräftig, so ist eine nachträgliche Einschränkung durch die Auflage nur unter den Voraussetzungen der §§ 44ff SGB 10 zulässig.

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 12. Dezember 2007 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die mit der Androhung des Widerrufs der Zulassung verbundene Auflage, nach der die Klägerin zur Vorlage selbstschuldnerischer Bürgschaften ihrer Gesellschafter verpflichtet wird, aufgehoben wird.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben die Kosten des Rechtsstreits und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin jeweils zur Hälfte zu tragen.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2) bis 8) sind nicht erstattungsfähig.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Nebenbestimmung, mit der die Klägerin zur Vorlage von selbstschuldnerischen Bürgschaften durch ihre Gesellschafter verpflichtet wurde.

Die Klägerin ist ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in der Rechtsform einer GmbH. Sie ist seit 1. Januar 2006 als MVZ zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Gesellschafter der Klägerin sind die J.I. Kliniken gGmbH sowie das MVZ Radiologie und Nuklearmedizin GbR F., H., J., L., S., M., K., B-Stadt.

Mit Beschluss vom 30. Januar 2007 (ausgefertigt am 2. April 2007) gab der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der kassenärztlichen Vereinigung Hessen einem Antrag der Klägerin auf Übernahme eines Vertragsarztsitzes in P-Stadt statt. Die vertragsärztliche Tätigkeit sollte nach dem weiteren Beschlusstenor ab 1. Februar 2007 in Vollzeit im MVZ L. mit einer wöchentlichen Regelarbeitszeit von 38 Stunden durch die angestellte Frauenärztin C.D. weitergeführt werden. Diese wurde mit Wirkung vom 1. Februar 2007 zur ärztlichen Leiterin des MVZ L. bestellt. In den Beschlussgründen behielt sich der Zulassungsausschuss den Widerruf der Zulassung des MVZ vor, sofern eine gemäß § 95 Abs. 2 SGB V erforderliche selbstschuldnerische Bürgschaftserklärung für Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und der Krankenkassen gegenüber der Klägerin aus deren vertragsärztlicher Tätigkeit nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Beschlusses vorgelegt werde.

Die Klägerin legte am 23. April 2007 Widerspruch ein. Sie wandte sich gegen eine in den Beschlussgründen jeweils ausgesprochene Befristung der Nachbesetzung und der Einstellung eines weiteren Arztes bei Reduktion der Arbeitszeit sowie gegen die Aufforderung zur Vorlage einer Bürgschaftserklärung, da das MVZ vor dem 1. Januar 2007 gegründet sei. Die nachträgliche Forderung einer Bürgschaft stelle einen enteignungsgleichen Eingriff dar.

Die Beigeladene zu 1) teilte mit Schriftsatz vom 18. Juni 2007 mit, dass sich die Notwendigkeit zur Vorlage einer selbstschuldnerischen Bürgschaftserklärung nicht nur für MVZ ergebe, die nach dem 31. Dezember 2006 gegründet worden seien. Die Verpflichtung zur Vorlage stelle ein milderes Mittel im Vergleich zur Zulassungsentziehung dar.

Die Klägerin reichte unter dem Datum vom 4. Juni 2007 die Bürgschaftserklärung unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Überprüfung ein.

Mit Beschluss vom 20. Juni 2007 (ausgefertigt im 11. September 2007) änderte der Beklagte den Beschluss des Zulassungsausschusses dahingehend ab, dass die Frist zur Nachbesetzung auf sechs Monate verlängert wurde. Den Widerspruch hinsichtlich der Verpflichtung der Vorlage der Bürgschaftserklärungen wies er zurück. Zur Begründung f...

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