Entscheidungsstichwort (Thema)
Weg von eigenwirtschaftlicher Verrichtung aus
Leitsatz (amtlich)
Ein Versicherter steht auf einer Fahrt zur Familienwohnung nicht unter Versicherungsschutz, wenn diese erst geraume Zeit nach Beendigung der Betriebstätigkeit und von einem weiter entfernt liegenden, eigenwirtschaftlicher Verrichtungen wegen aufgesuchten Ort angetreten wurde.
Normenkette
RVO § 550 S. 3
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 29.03.1973) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 29. März 1973 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der … 1942 geborene Kläger, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, erlitt am Samstag, dem 27. Mai 1972, auf der Bundesautobahn Dortmund – Gießen in der Gemarkung Haiger-Seelbach gegen 19.50 Uhr mit seinem Personenkraftwagen – Pkw – einen Verkehrsunfall, bei dem er sich neben einer Gehirnerschütterung mit mehrstündiger Bewußtlosigkeit und Kopfplatzwunden an der linken Schädelseite, einen Bruch des zweiten Halswirbelkörpers zuzog. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt auf der Fahrt von N. nach P., wo seine Familie wohnt. Er war in O. bei der Firma P. & Co. beschäftigt und am Freitag, dem 26. Mai 1972 nach Arbeitsende gegen 15.15 Uhr zunächst zu einer am gleichen Tage stattfindenden Geburtstagsfeier seiner Schwiegermutter nach N. gefahren, wo er auch übernachtete. Am Unfalltag besuchte er dort noch seinen Vater und trat dann am Nachmittag die Fahrt zu seiner Familienwohnung an, von wo er, wie gewöhnlich, am darauffolgenden Montag an seinen Arbeitsplatz in O. zurückzukehren beabsichtigte, wo er eine Unterkunft hatte. Zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens herrschte bei Tageslicht auf der leicht abfallenden und geraden Bundesautobahn starker Regen mit starken Sturmböen. Auf der Fahrbahn stand das Wasser etwa 2 cm hoch. Von ihr kam der Kläger ab, als sein Pkw plötzlich seitlich ausbrach und gegen die mittlere Leitplanke stieß. Er wurde hierbei aus dem Pkw herausgeschleudert. Nach den von der Beklagten beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht … (8 Pls 15/72) konnten weder ein Drittverschulden noch technische Mängel an dem Unfallfahrzeug des Klägers festgestellt werden. Nach der um 20.52 Uhr vorgenommene Blutentnahme ergab die Blutprobe nach den Widmark- und ADH-Verfahren im Mittelwert eine Blutalkoholkonzentration –BAK– von 0,41 ‰.
Die Beklagte lehnte die Entschädigung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall mit Bescheid vom 27. November 1972 ab, da sich der Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht auf einer versicherten Familienheimfahrt nach § 550 Satz 3 Reichsversicherungsordnung – RVO – sondern auf dem Weg von einem privaten Aufenthalt in N. nach P. befunden habe.
Gegen diesen an ihn am 27. November 1972 per Einschreiben abgesandten Bescheid hat der Kläger am 8. Dezember 1972 bei dem Sozialgericht Darmstadt – SG – Klage erhoben und geltend gemacht: Er fahre an den Wochenenden von seiner O. Unterkunft nie freitags sogleich nach Büroschluß zu seiner Familie, sondern erst samstags morgens, da ihm eine rund 4-stündige Heimfahrt am Freitag nicht zuzumuten sei. Zweck seiner Fahrt am Unfalltag von N. nach P., die er nachmittags ausgeruht angetreten habe, sei es gewesen, seine Familie am Wochenende zu besuchen. Im übrigen habe er sich im Unfallzeitpunkt auf dem direkten Weg zwischen Arbeitsstätte und Familienwohnung befunden.
Das SG hat am 29. März 1973 die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen des Unfalls die gesetzlichen Leistungen zu gewähren, da die Verzögerung der Rückfahrt nach P. nach dem Arbeitsende am 26. Mai 1972 nicht wesentlich gewesen sei und § 550 Satz 3 RVO dem Schutz der Familie und der Ehe diene.
Gegen das ihr am 11. April 1973 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. April 1973 Berufung eingelegt. Zur Begründung bringt sie vor: Das SG habe in unzulässiger Weise den Versicherungsschutz ausgedehnt. Nach der Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sei anerkannt, daß keine versicherungsgeschützte Familienheimfahrt vorliege, wenn sich der Versicherte auf dem Rückweg von einer eigenwirtschaftlichen Unternehmung befinde. Das sei hier aber anzunehmen, da der Kläger nicht in angemessener Zeit nach Arbeitsende die Heimfahrt angetreten habe, sondern zunächst zu einer Familienfeier in entgegengesetzter Richtung nach M. und erst am Nachmittag des folgenden Tages von dort aus nach Hause gefahren sei. Daß sich der Unfall zufällig auf der Strecke zwischen dem Arbeitsort und der Familienwohnung ereignet habe, sei wegen der inzwischen eingetretenen Lösung vom Betrieb unbeachtlich. Im übrigen ergebe sich diese auch daraus, daß der Unfall auf dem Zusammenwirken einer nichtbetriebsbedingten Übermüdung mit verbliebenem Restalkohol nach einer privaten Familienfeier in N. beruht habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 29. März 1973 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläge...