Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsanzug

 

Leitsatz (amtlich)

Der Weg in der Mittagspause zur eigenen Wohnung steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn er vom Verletzten angetreten wird, um eine am Arbeitsplatz zerrissene Arbeitshose zu Hause gegen eine Ersatzhose auszutauschen.

 

Normenkette

RVO § 550 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Darmstadt (Urteil vom 23.08.1983; Aktenzeichen S 3 U 121/82)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 23. August 1983 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 1982 aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. September 1975 die gesetzliche Unfallentschädigung zu gewähren.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Folgen eines Verkehrsunfalls vom 15. September 1975 als Arbeitsunfall zu entschädigen.

Unter dem 19. September und 2. Oktober 1975 zeigte die Firma F. u. W. … in … der Beklagten an, daß der bei ihr als Dreher beschäftigte und im Jahre 1952 geborene Kläger während der Mittagspause nach Verlassen des Betriebsgeländes auf der M. Str. gegen 12.10 Uhr mit einem Motorrad verunglückt sei. Dazu teilte Prof. Dr. … (St. Vinzenz-Krankenkaus …) im Durchgangsarztbericht vom 15. September 1975 mit, daß der in … wohnende Kläger eine schwere Beckenquetschung mit Symphysenruptur, große Quetschplatzwunde über dem Skrotum mit Durchtrennung der Muskulatur um die Symphyse, eine Oberschenkelfraktur rechts, ein offenes Kniegelenk links mit Trümmerfraktur der linken Tibia sowie eine Quetschung des rechten Unterschenkels mit Fersenbein- und einen Wadenbeinbruch erlitten habe. Die Beklagte zog die Akten des Amtsgerichtes … (8 Ds 317/75) des gegen den Kläger gerichteten Strafverfahrens bei und hörte den am Unfall beteiligten Arbeitskollegen und Zeugen J. M. (M.) durch ihre Bediensteten. M. erklärte, daß der Kläger ihn zu seiner Wohnung habe fahren wollen, um vergessene Arbeitspapiere für den Arbeitgeber zu holen. Das Mittagessen sei zuvor im Betrieb schon eingenommen gewesen. Das Verwaltungsverfahren endete hierauf ohne förmlichen Abschluß. Im Februar 1982 wandte der Kläger sich an die Beklagte und fragte an, wann ihm ein Bescheid erteilt werde. Es habe sich bei dem Verkehrsunfall um einen Arbeitsunfall gehandelt, da er sich zur Unfallzeit auf dem Wege zu seiner Wohnung befunden habe, um eine während der Arbeit eingerissene Arbeitshose zu ersetzen. Der Zeuge M. sei von ihm bei dieser Gelegenheit lediglich mitgenommen worden, um ihm die Möglichkeit zu geben, vergessene Arbeitspapiere aus seiner Wohnung zu holen. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Juli 1982 lehnte die Beklagte die Gewährung der Unfallentschädigung ab, da sich der Kläger nicht auf einem versicherten Wege von der Arbeitsstelle nach Hause befunden habe. Er habe vielmehr den Zeugen M. zu dessen Wohnung fahren wollen, damit dieser vergessene Arbeitspapiere habe holen können. Die jetzt gemachten Angaben, daß der Kläger zu Hause eine zerrissene Arbeitshose habe wechseln wollen, sei eine unbewiesene Zweckbehauptung.

Im Verfahren des ersten Rechtszuges hat das Sozialgericht Darmstadt (SG) zunächst im Wege der Rechtshilfe den Zeugen M. durch das Sozialgericht Dortmund am 14. März 1983 vernehmen lassen. Dieser hat im wesentlichen bekundet, daß er nicht mehr wisse, ob er am Unfalltag davon gewußt habe, daß der Kläger zwecks Auswechselns einer zerrissenen Arbeitshose habe nach Hause fahren wollen. Von der beabsichtigten Heimfahrt habe er am Arbeitsplatz oder beim Mittagessen erfahren. Diese Gelegenheit habe er zum Holen seiner Arbeitspapiere nutzen wollen. Sodann hat das SG mit Urteil vom 23. August 1983 die Klage aus den Gründen des angefochtenen Bescheides abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf das sozialgerichtliche Urteil verwiesen.

Gegen dieses ihm am 31. August 1983 zugestellte Urteil hat der Kläger schriftlich bei dem Hessischen Landessozialgericht (HLSG) am 9. September 1983 Berufung eingelegt.

Es sind im Berufungsverfahren die Auskünfte der Firma … vom 12. März 1984 und des Prof. Dr. K. vom 13. März 1984 eingeholt worden. Danach war die Verschmutzung bei der Arbeit des Klägers im Betrieb der Firma … vergleichsweise gering. Sie fiel an durch Kühlwasserspritzer, Schmieröle, Späne und ähnliche Dinge. Zur Verrichtung der Arbeit sei Arbeitskleidung notwendig, aber nicht ein besonderer Arbeitsanzug. Eine einheitliche Arbeitskleidung sei im Betrieb weder vorgeschrieben noch sonst üblich. Ältere Arbeitnehmer trügen in der Regel den klassischen „Blaumann”, während jüngere Jeans bevorzugten. Ohne Arbeitskleidung hätte der Kläger seine Arbeit nicht verrichten können, da Öl und Kühlwasserflecken nur sehr schwer zu entfernen seien. Prof. Dr. K. hat mitgeteilt, daß nach den noch vorhandenen Unterlagen lediglich gesagt werden könne, daß die Unfallfolgen wenigstens v...

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