Entscheidungsstichwort (Thema)

Befreiung vom gesetzlichen Arzneikostenanteil. besonderer Härtefall. Bedürftigkeitsprüfung. Anrechnung von Einkommen. Grundrente nach dem BVG

 

Leitsatz (amtlich)

Sei der Beurteilung, ob ein besonderer Härtefall im Sinne von § 14 Satz 2 KVLG als Voraussetzung für eine Befreiung von der Zahlung des gesetzlichen Arzneikostenanteils vorliegt, darf der Krankenversicherungsträger die Grundrente nach dem BVG nicht als Einkommen berücksichtigen.

 

Normenkette

KVLG § 14; RVO § 180 Abs. 4 S. 1, § 182a; BVG § 31

 

Verfahrensgang

SG Gießen (Urteil vom 28.02.1979; Aktenzeichen S-9/Kr - 31/78)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.01.1981; Aktenzeichen 11 RK 7/80)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28. Februar 1979 sowie der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1978 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger ab 1. Februar 1978 gemäß § 14 Satz 2 KVLG von der Zahlung des gesetzlichen Arzneimittelkostenanteils zu befreien.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger von der Zahlung des gesetzlichen Arzneikostenanteils gemäß § 14 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) freizustellen hat.

Der 1901 geborene Kläger ist als Bezieher von Altersgeld Pflichtmitglied der Beklagten. Am 1. Februar 1978 beantragte er die Befreiung vom Kostenanteil für Arznei-, Verband- und Heilmittel. Er bezog zu diesem Zeitpunkt Altersgeld in Höhe von 265,60 DM monatlich das für das Jahr 1979 auf 277,60 DM und für das Jahr 1980 auf 288,70 DM monatlich erhöht wurde. Daneben erhielt der Kläger wegen des Verlustes des rechten 4. Fingers sowie einer Beugeverminderung der übrigen Finger und einer dadurch bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. eine Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Höhe von 123,– DM monatlich, die ab Januar 1979 auf 129,– DM im Monat angehoben wurde und seit 1. Januar 1980 134,– DM beträgt. Außergewöhnliche Belastungen und Verpflichtungen – z.B. Belastungen durch Pflege – oder Unterbringungskosten wurden nicht geltend gemacht. Der Kläger lebt mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter im gemeinsamen Haushalt und erhält freie Kost und Wohnung, über Grundbesitz verfügt der Kläger nicht. Der von ihm der Beklagten eingereichte Fragebogen enthielt die Bestätigung des behandelnden Arztes, daß er laufend Arzneimittel beziehe und der Bezug dieser Mittel dauernd erforderlich sei.

Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil das zu berücksichtigende Einkommen des Klägers in Höhe von 664,60 DM (Altersgeld + 300,– DM Sachbezüge + 123,– DM Grundrente) die in ihren Richtlinien festgelegte Einkommensgrenze von 650,– DM überschreite und deshalb ein Härtefall im Sinne von § 14 KVLG nicht gegeben sei. Bei der Feststellung des Bruttoeinkommens sei die Grundrente einzubeziehen, da es für die Beurteilung des Härtefalls im Sinne von § 14 KVLG nicht auf die Zweckbestimmung der Grundrente, sondern auf ihre tatsächliche Verwendbarkeit für den Lebensunterhalt ankomme (Bescheid vom 10. Februar 1978; Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 1978).

Die dagegen am 12. Juli 1978 erhobene Klage des Klägers hat das Sozialgericht (SG) Gießen durch Urteil vom 28. Februar 1979 aus den Gründen des angefochtenen Bescheides abgewiesen.

Gegen das am 14. März 1979 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. April 1979 Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, daß die Funktion der Grundrente eine Berücksichtigung als Bruttoeinkommen ausschließe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28. Februar 1979 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1978 aufzuheben,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, ihm Befreiung von der Arznei-, Verband- und Heilmittelgebühr ab 1. Februar 1978 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Abgesehen davon, daß das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Rechtsprechung, u.a. im Urteil vom 20. Oktober 1977 – 11 RK 18/76 –, die Grundrente stets berücksichtigt habe, wenn es auf die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten angekommen sei, sei ihre Rechtsauffassung und diejenige des SG auch durch das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 1980 – L-16/Kr-190/78 –, das unmittelbar die Regelung des § 14 Satz 2 KVLG betreffe, voll bestätigt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der Verwaltungsakte der Beklagten und der Versorgungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist begrü...

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