Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 01.10.1996; Aktenzeichen S-3/U-1987/95) |
Tenor
- Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 1. Oktober 1996 wird zurückgewiesen.
- Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2) und 3), H… G…, infolge einer Berufskrankheit (BK) verstorben ist.
Der 1943 geborene Versicherte verstarb 1993 im Alter von 50 Jahren an Speiseröhrenkrebs. Von Oktober 1965 bis zum Beginn seiner Erkrankung im Mai/Juni 1993 war er bei der Fa. B… in M… als Chemielaborant und Produktionsmeister beschäftigt. Er arbeitete dort im Technikum, wo alle Stoffe und Produkte des Betriebes entwickelt werden. Bei seiner Tätigkeit hatte der Versicherte Umgang mit Benzol, Asbest und Vinylchlorid, Arbeitsstoffe, die nach gesicherter Erkenntnis als humankanzerogen gelten. Daneben hatte der Versicherte auch Kontakt mit Chemikalien, die als krebserzeugend gelten oder unter dem Verdacht stehen, eine Krebserkrankung zu verursachen. Nach den Angaben des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 13. Oktober 1994 handelte es sich hierbei um: Acrylnitril, Bromdesoxiuridin, Chrom (VI)-Verbindungen (CrO3), 1,2 Dibromethan, Dimethylsulfat, Epichlorhydrin, Methylcarbonat, Hydrazin, Joddesoxiuridin, Tolidin, Xanthin und Natriumsalz, Brommethan, Brommethylacylat, 1,2-Dichlorethan, Jodmethan und aromatische Amine wie 4-Aminodiphenyl, Benzidin, 2-Naphtylamin, 4-Chlor-o-toluidin. Vom 13. August 1993 bis 20. August 1993 nahm der TAD der Beklagten im Technikum der Fa. B… M… Messungen vor, um die zu diesem Zeitpunkt an den Arbeitsplätzen bekannten Stoffe Monoethanolamin, Diethanolamin, Triethanolamin, Nitrosodiethanolamin, N-Nitrosodimethylamin zu messen. Von diesen Stoffen wurden sowohl Dämpfe als auch Aerosole und daneben auch nitrose Gase als NO(2) weit unterhalb der Auslöseschwellen, teilweise unterhalb der Nachweisgrenze, in der Luft gefunden. Deutlichere Konzentrationen wurden von N-Nitrosodiethanolamin gefunden. Nach Mitteilung des Technischen Aufsichtsbeamten (TAB) Dr. B… im Schreiben vom 20. September 1994 ist auch nicht auszuschließen, dass es durch Auslaufen und Überlaufen dieses Stoffes zu Benetzungen der Haut mit der nitrosaminhaltigen Flüssigkeit gekommen ist.
Der Internist und Arbeitsmediziner Dr. St… empfahl der Beklagten als Beratungsarzt, das Tumorleiden des Versicherten als BK unter Heranziehung des § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuerkennen, weil der Versicherte bei der Fa. B… zwangsweise mit multiplen Kanzerogenen, insbesondere mit Benzol und Asbest, im Sinne einer Synkarzinogenese, in Berührung gekommen sei.
Die Beklagte holte von Prof. Dr. T…, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität H…, ein Gutachten ein. Prof. Dr. T… gelangte in seinem Gutachten vom 8. Februar 1995 zu dem Ergebnis, bei synoptischer Würdigung von Krankheitsbild und Ermittlungen über die Arbeitsstoffexpositionen sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Speiseröhrenkrebserkrankung des Versicherten und seiner Tätigkeit als Chemielaborant möglich. Aufgrund derzeit fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Humankanzerogenität der in Betracht kommenden Chemikalien könne die nach dem Gesetz erforderliche Wahrscheinlichkeit jedoch nicht bestätigt werden. Bei dem Versicherten habe zu Lebzeiten mit Wahrscheinlichkeit keine BK im Sinne der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorgelegen. Der Ansicht des Dr. St… könne er nicht zustimmen. Zum einen vertrete dieser die Auffassung, Benzol könne beim Menschen Speiseröhrenkrebs verursachen. Hierüber lägen jedoch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. Zum anderen vermute Dr. St… als Ursache des Tumors Asbest und stütze dies auf die Annahme einer Synkarzinogenese. Auch hierüber lägen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die als weitgehend gesichert bezeichnet werden könnten.
Der Landesgewerbearzt stimmte in seiner Stellungnahme vom 18. April 1995 dem Gutachten des Prof. Dr. T… zu.
Mit Bescheid vom 12. Juni 1995 teilte die Beklagte der Klägerin zu 1) mit, die Anerkennung der Tumorerkrankung der Speiseröhre des Versicherten als BK nach der Anlage 1 zur BKV sowie eine Entschädigung “wie” eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO werde abgelehnt. Nach derzeitigem medizinischen Erkenntnisstand sei keiner der Stoffe, mit denen der Versicherte in Berührung gekommen sei, geeignet, einen Speiseröhrentumor zu verursachen.
Den von der Klägerin zu 1) eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 1995 als unbegründet zurück.
Die Kläger haben hiergegen am 10. November 1995 beim Sozialgericht Darmstadt (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, der Versicherte habe mehr als intensiven Kontakt über 28 Jahre mit toxischen und humankanzerogenen Arbeitsstoffen gehabt. Hingegen fänden sich im privaten Lebensbereich des Vers...