Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung eines weit in der Vergangenheit eingetretenen Leistungsfalles
Orientierungssatz
Für den Eintritt eines Leistungsfalls in der Vergangenheit gilt, dass der Beweiswert einer rückschauenden Leistungsbeurteilung umso größer ist, je genauer seitens des Sachverständigen differenziert wird zwischen den anlässlich der (eigenen) Untersuchung getroffenen aktuellen Feststellungen und der daraus bezogen auf diesen Zeitpunkt abgeleiteten Beurteilung einerseits sowie der hiervon ausgehend - unter Zuhilfenahme von geeigneten Anknüpfungspunkten im medizinischen Berichtswesen - entwickelten Einschätzung hinsichtlich der Vergangenheit andererseits. Je lückenloser die Kette der sog Brückensymptome in die Vergangenheit zurückreicht und je eingehender die Aussagekraft von Untersuchungsberichten aus früherer Zeit im Gutachten erläutert wird, umso nachvollziehbarer, einleuchtender und schließlich auch überzeugender kann eine rückschauende Leistungsbeurteilung sein mit der Folge eines dann nachvollziehbar auch in der Vergangenheit eingetretenen Leistungsfalles.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 6. Juni 2018 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Der 1957 geborene Kläger absolvierte in der Zeit von 1. September 1975 bis 31. Januar 1979 eine abgeschlossene Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher in einem Rehabilitationszentrum für körperbehinderte Menschen. Im Anschluss hieran war er in diesem Beruf in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen sowie als Arbeiter in einer Metallfabrik, bei der Firma D. und bei einem Schuh- und Schlüsseldienst mit Unterbrechungen bis Oktober 1983 beschäftigt. Hiernach war der Kläger arbeitslos. 1988 arbeitete der Kläger erneut fünf Monate als Schuhmacher. 1991 gab er an, seit drei Jahren mit einer Reisegewerbekarte selbständig Bestecke zu schleifen. Vom 1. Februar 1994 bis 15. April 1994 war er erneut als orthopädischer Schuhmacher und von 1994 bis 1997 als fahrender Messerschleifer tätig. Seit 1997 war er erneut arbeitslos. Zeitweise bezog er Sozialhilfeleistungen. Ab dem 18. September 1975 war bezüglich des Klägers ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 sowie das Merkzeichen G und ab dem 20. Oktober 1992 ein GdB von 90 sowie das Merkzeichen G festgestellt worden. Zwischenzeitlich ist ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen aG, H, RF festgestellt.
Auf seinen Antrag vom 15. Januar 1984 gewährte die Landesversicherungsanstalt (LVA) H. dem Kläger mit Bescheid vom 29. September 1984 ab 1. Februar 1984 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer. Sie ging von einem Leistungsfall zum Zeitpunkt der Antragstellung aus. Dieser Einschätzung lag ein Gutachten des Dr. med. E., Nervenarzt und Diplom-Psychologe, vom 20. Juni 1984 und ein Gutachten der sozialärztlichen Dienststelle der LVA durch Dr. med. F., Ärztin für Innere Medizin, vom 9. Juli 1984 zugrunde. Dr. med. F. hielt den Kläger bei einer wenig belastbaren Persönlichkeit mit Neigung zu depressiven Verstimmungszuständen, einem episodischen Alkoholabusus und einem Zustand nach Kinderlähmung mit Teillähmung des linken Beines bei Sprunggelenksversteifung und Beinverkürzung links für leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes und in seinem bisher ausgeübten Beruf als orthopädischer Schuhmacher dauerhaft zweistündig bis unter halbschichtig leistungsfähig. Im Vordergrund stünden die psychiatrischen Gesundheitsstörungen, die im Zusatzgutachten des Dr. med. E., Leitender Arzt am Psychiatrischen Krankenhaus M., in dem sich der Kläger bereits mehrfach in stationärer Behandlung befunden habe, ausführlich beurteilt worden seien. Ebenso habe das nervenärztliche Zusatzgutachten die Behinderung durch die linksseitige Beinlähmung und Beinverkürzung berücksichtigt.
Nachuntersuchungen des Klägers zur Überprüfung seiner Leistungsfähigkeit ergaben in den Jahren 1986 und 1988 keine Veränderung des Gesundheitszustandes und Leistungsvermögens des Klägers. Während Dr. med. G. - Arzt für Neurologie und Psychiatrie - in seinem Gutachten vom 17. Oktober 1986 ausführte, dass nach einer eingetretenen gewissen Stabilisierung eine Wiedereingliederung versucht werden könne und eine halbtätige Erwerbstätigkeit dem Kläger zumutbar sei, stellte Dr. med. H., Medizinaloberrat der sozialärztlichen Dienststelle der LVA, in seinem Gutachten vom 9. November 1988 eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers insbesondere wegen Alkoholkonsums und Kniegelenkbeeinträchtigungen fest. Dr. med. H. führte aus, dass der Kläger vom 15. Juni 1988 bis 3. Oktober 1988 im Rahmen einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation als Schumacher und Textilreiniger ...