Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. Verweigerung der eigenen Identitätsfeststellung im Rahmen einer Fahrkartenkontrolle
Orientierungssatz
Ob eine Tätigkeit oder Verrichtung auf dem Arbeitsweg versichert ist, bestimmt sich alleinig nach der Handlungstendenz des Versicherten. Entscheidend ist insoweit, ob diese rechtlich wesentlich auf das Zurücklegen des Weges zum Ziel - hier zum Wohnort des Klägers - gerichtet ist bzw war oder nicht. Fehlt es an einer solchen Handlungstendenz, dann scheidet nach der ständigen und auch gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 SGB 7 selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg zu und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (hier: Verletzung während der Verweigerung der eigenen Identitätsfeststellung im Rahmen einer Fahrkartenkontrolle)
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 29. Januar 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Ereignisses vom 20. Januar 2010 als Arbeitsunfall.
Der 1960 geborene Kläger befand sich am Abend des 20. Januar 2010 auf der Rückfahrt von seiner Arbeitsstelle am C-Stadter Flughafen, der D. GmbH, nach Hause. In einem E Bus, den er vom C-Stadter Flughafen bis zum B-Stadter Hauptbahnhof benutzte, fand gegen 20:18 Uhr eine Fahrkartenkontrolle statt. Weil der Kläger und ein weiterer Fahrgast, der Zeuge G., keinen Fahrschein vorweisen konnten und auch nicht bereit waren, ihre Personalien anzugeben, meldeten die J-Prüfer den Vorfall dem Polizeipräsidium I., Polizeidirektion H-Stadt, x. Polizeirevier, das sodann einen Streifenwagen zum B-Stadter Hauptbahnhof entsandte. Bei Ankunft des E. stieg der Kläger mit einem der Kontrolleure aus dem Bus aus. Die weiteren Einzelheiten der sich anschließenden Polizeikontrolle, an der Polizeioberkommissar (POK) K. und Polizeikommissarin (PK___AMPX_’_SEMIKOLONX___Xin) L. beteiligt waren, sind zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig. Fest steht, dass der Kläger von POK K. zum Streifenwagen sistiert und zum Zwecke der Durchsuchung an den Streifenwagen gestellt wurde. Weil der Kläger sich offenbar geweigert hatte, die Hände an das Autodach zu legen und die Füße zurückzunehmen, wurde er von POK K. zu Boden gebracht, später gefesselt, sodann wieder aufgerichtet, an den Streifenwagen gestellt und zum Zwecke der Identitätsfeststellung durchsucht. Dabei wurden ihm u. a. Handschellen angelegt und auch sein Rucksack durchsucht. Wegen der Folgen des Ereignisses stellte der Kläger sich am 28. Januar 2010 dem Durchgangsarzt Dr. M. in B-Stadt vor. In dessen Bericht vom 29. Januar 2010 findet sich als Diagnose nach Röntgen der Lendenwirbelsäule und auch des Schädels in zwei Ebenen ein rezidivierendes Erbrechen nach Schädelprellung, der Ausschluss einer intracerebralen Blutung, Verdacht auf Bandscheibenprolaps Lendenwirbelkörper, eine akute Belastungsreaktion und Verdacht auf eine Halswirbelsäulendistorsion. Zuvor war der Kläger bei seinem Hausarzt Dr. N. in A-Stadt am 22. Januar 2010 in Behandlung gewesen, der als Erstdiagnose den Nachweis von Prellmarken im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie Hämatome am Jochbein und Orbiter rechts bemerkte. Später wurde der Kläger wegen der behaupteten Folgen des Ereignisses vom 20. Januar 2010 zudem neurologisch, hno-ärztlich, augenärztlich und auch psychiatrisch/psychotherapeutisch behandelt.
Ein Strafverfahren gegen den Kläger wegen Beförderungserschleichung (§ 265a Strafgesetzbuch - StGB -) wurde nicht durchgeführt. Nachdem der Kläger nachträglich einen gültigen Fahrausweis vorgelegt und auch eine Bearbeitungsgebühr entrichtet hatte, verzichtete die J. GmbH & Co. KG auf einen entsprechenden Strafantrag.
Gegen POK K. erstattete der Kläger seinerseits Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt gemäß § 340 StGB unter Bezeichnung der Tathandlungen Niederschlagen seines Kopfes und Treten gegen seinen Oberkörper. Das Verfahren wurde bei der Staatsanwaltschaft unter dem Aktenzeichen 501 Js 11974/10 PZ geführt. Nach umfangreichen Ermittlungen (Beschuldigtenvernehmung, zeugenschaftliche Vernehmung des weiteren Fahrgastes G., der Passanten O. und P. sowie PK___AMPX_‚_SEMIKOLONX___Xin L.) stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit Bescheid vom 4. Juni 2010 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. In der Einstellungsverfügung heißt es, dass die Umstände es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sehr nahe legten, dass der Kläger aus Verärgerung über seine Fahrt ohne gültige Fahrkarte und der folgenden Preisgabe seiner persönlichen Daten sich aggressiv und provokant gegenüber dem Beschuldigten POK K. verhalten und so dessen Verhalten wiederum provoziert ha...