Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Darmstadt vom 14.12.1995 - L 5 V 1221/94, das vollständig dokumentiert ist.
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 07.10.1994; Aktenzeichen S-11/V-2101/93) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) im Verfahren nach § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X).
Der 1939 geborene Kläger hat als Staatsbürger der Republik Kroatien seinen Wohnsitz in diesem Staat. Er beantragte erstmals am 22. Mai 1988 beim Versorgungsamt Fulda die Gewährung von Beschädigtenversorgung und gab an, als noch nicht sechsjähriges Kind während des Zweiten Weltkrieges in seiner Heimat schwer geschädigt worden zu sein. Er habe im April 1945 in M. beim Spielen den Teil einer Granate gefunden, der, während er ihn mit beiden Händen hielt, explodiert sei. Er habe den Daumen der rechten Hand sowie Daumen und Zeigefinger der linken Hand, die amputiert werden mußten, sowie das rechte Auge verloren. Wegen dieser Schädigung sei er seit 1977 in Kroatien als ziviles Kriegsopfer anerkannt und beziehe Rente. Der Kläger legte ärztliche Unterlagen sowie Bescheide und auch einen Zahlungsbeleg aus dem Jahre 1989 über seine Rente als ziviles Kriegsopfer bei. Nach weiteren Ermittlungen erkannte das Versorgungsamt Fulda mit Bescheid vom 23. Mai 1991 die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen (“1. Verlust beider Daumen und des linken Zeigefingers; 2. Verlust des rechten Auges”) als Schädigungsfolgen nach dem BVG an und gewährte ihm Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 80 v.H. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, daß die Leistung als sog. “Kannleistung” gemäß § 64 e Abs. 1 bzw. § 64 Abs. 2 BVG zuerkannt werde.
Diesen Bescheid nahm das Versorgungsamt Fulda ohne vorherige Anhörung des Klägers durch Bescheid vom 11. Januar 1993 mit Wirkung vom 1. Februar 1993 zurück. Zur Begründung führte es aus, der Bewilligungsbescheid sei rechtswidrig gewesen, da der Kläger wegen derselben Ursache einen Anspruch auf Zivil-Invalidenrente gegenüber seinem Heimatstaat habe. Gemäß § 7 Abs. 2 BVG aber sei eine solche Doppelversorgung ausgeschlossen. Da diese gesetzliche Bestimmung bei Erteilung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides nicht beachtet worden sei, sei dieser Bescheid rechtswidrig gewesen. Seine Rücknahme setze zwar voraus, daß das Interesse des Bürgers an der Aufrechterhaltung des Vorteils nicht höher zu bewerten sei, als das öffentliche Interesse des Staates und der Allgemeinheit an der Beseitigung der Rechtswidrigkeit eines Bescheides. Die Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides sei aber aus öffentlichem Interesse geboten. Es sei zugunsten der Interessen des Klägers berücksichtigt worden, daß der Grund für das Zustandekommen des rechtswidrigen Bescheides zwar allein im Verantwortungsbereich der deutschen Verwaltung liege. Dies allein führe jedoch nicht zur Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Klägers in den Bestand des Bescheides. Im Rahmen der gebotenen Ermessensprüfung sei die persönliche Situation des Klägers gewürdigt worden; die niedrige Höhe der Versorgung im Heimatstaat könne aber nicht zu einer Ausübung des Ermessens zu seinen Gunsten führen, weil deutsche Verwaltungsentscheidungen keinen Einfluß auf die wirtschaftlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Klägers haben könnten. Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid am 23. April 1993 (Eingang beim Versorgungsamt Fulda) Widerspruch und machte u.a. geltend, er habe von der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) keine Versorgung als Kriegsopfer bekommen, sondern nur eine Rente wegen seiner Arbeitsunfähigkeit als allgemein anerkannter Invalide. Nach dem BVG sei deshalb ein Anspruch auf Versorgung nicht ausgeschlossen. Der Kläger hat angeboten, die hierfür erforderlichen Nachweise der kroatischen Behörden nachzusenden. Weiter hat der Kläger vorgetragen, er könne nicht akzeptieren, daß sich aus einem eventuellen Fehler der deutschen Behörden für ihn nachteilige Folgen ergeben würden. Der Kläger hat schließlich geltend gemacht, sein Gesundheitszustand habe sich verschlimmert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 1993 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte u.a. aus, es sei auch geprüft worden, ob im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens ganz oder teilweise von der Entziehung der laufenden Leistung abgesehen werden könne. Es sei zwar bekannt, daß der Kläger schon in jungen Jahren schwer geschädigt worden sei und in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebe. Diese Umstände würden jedoch bei Beziehern von Sozialleistungen vielfach vorliegen und könnt...